23 April 2017

Sprache und Selbstbewusstsein

Der US-Präsident hat heute nicht gut geschlafen und ich bin von den ersten Haschischkekse des Jahres etwas überfordert. Keine Angst vor Klischees. Will ich noch etwas einkaufen oder erstmal an meinem Buch arbeiten? Ich komm mir wie ein feiger Streber vor, wenn ich meine Karriere zu ernst nehme. Ich setz mich mit meinem Laptop in die Straßenbahn, schreibe und kaufe auf dem Rückweg ein. So hab ich heute Abend Zeit, meinen Manager, den Perückenmann zu besuchen. Die Kekse sind sehr stark, ideal um über den Rausch an sich nachzudenken.

Was ist passiert? Etwas Grundlegendes verändert sich, eine ungeheure Entspannung setzt ein, der Pessimismus ist wie weggeblasen, vielleicht hat mein Hund recht, wenn er meint, dass Depressionen resultieren aus Bewegungslosigkeit, Phantasielosigkeit, sozialer Isolierung. Der Staat macht einen Fehler, wenn er versucht, die Menschen in den Arbeitsmarkt zu überführen, er scheucht seit so vielen Jahrzehnten schon die heruntergekommenen Kühe und Schweine auf den Fleisch- und Milchproduktemarkt, als ob es für die Menschen nichts wichtigeres gäbe als eine monotone, abstumpfende Arbeit, die jeder bessere Roboter, jeder besseren Software so viele Male effizienter erledigen kann. Die Sozialdemokratie hatten mit den Grünen die Chance, den Kapitalismus gründlich zu reformieren, stattdessen haben sie die Sozialsysteme auf bösartige Weise rationalisiert, entmenschlicht, dem freien Markt geopfert. Sie haben die Hartzgesetze eingeführt und den Finanzmarkt dereguliert, statt die Menschen auf die Digitalisierung ihrer Arbeit vorzubereiten und Steuergerechtigkeit herzustellen. Um nicht mehr wie Gregor Gysi zu klingen, mit dem ich mich vorgestern in der Bahn nach Nürnberg zwei Stunden lang unterhalten habe über meinen Hass auf meine Eltern, nehme ich noch ein kleines Pfeifchen und warte auf den Einschlag.

Warum führen wir nicht in der Zwischenzeit eine Schulpflicht für alle ein, deren Schulabschluss mehr als zehn Jahre alt ist? Vielen fehlt es an den kreativen Fähigkeiten, an denen es nicht den Kindern fehlt, die man in die Schule zwingt und auf ein System vorbereitet, dass es bald nicht mehr geben wird, denn ich hab auf dem Sperrmüll eine Trompete gefunden und werde damit die Bundesrepublik in eine dionysische Räte-Diktatur ... Ich schüttle den Kopf. Ich bin abgeschweift. Abgeschwiffen. Ich schwof ab, er abschwofte. Die Abschwofung wurde vollzogen. Der Abschwuf wurde gemacht. Ich lache zum ersten Mal des Tages und hab Lust auf Schokocreme und Vollkornbrot und dickflüssigen Kirschsaft und vielleicht noch einen Keks und mit einem Gedichtband von Brecht und Field-Recordings, die ich von meinen Hinterhofgeräuschen gemacht habe: die vorbeirauschenden Autos und Vogelgezwitscher und Windrauschen sind verwoben zu einem endlosen, hypnotischen Ambientloop, in den ein gelangweilter Hund seinen frechen Refrain schnauzt, allein gelassen von gelangweilten Arbeitslosen, die ihre Zeit mit Herumbrüllen und Topflappen-Stricken totgähnen. Was wird hier gesühnt? Ich komme mir schäbig vor, weil ich nicht weiß, was zu tun ist, außer sich zu berauschen an der Nichtigkeit, den in Stumpfsinn matt gewordenen Wahrnehmungsapparat im Kloster der Ereignislosigkeit zu rebooten. Solang man Selbstgespräche führt, kann man nicht die Kontrolle verlieren, denn so strukturiert man seine Gedanken.

Ich glaube die Vögel passen ihren Gesang an den Straßenverkehr an, sie spielen mit ihm, lassen zwitschernd wie in Trance durch den polyrhythmischen Auto-Noise ihre Lieder in den gewöhnlichen Himmel tönen, Thüringen ist das Bundesland mit der geringsten Feinstaub-Belastung. Lohnt es sich , darüber einen Song zu machen oder sollte ich diesen Gedanken gar nicht aufschreiben? Wem mach ich was vor, ich hab völlig den Überblick verloren, aber wenn ich laut rede, gewinne ich an Balance: ich bin meine Sprache, die Geschriebene oder die Gesprochene, je mehr ich rede, desto fiktiver bin ich, oder sollte ich etwa all meine verfügbaren Gefühlszustände auf einmal ausleben und alles aussprechen, was ich im Moment denke? Unmöglich. Ich bin, was ich artikuliere. Ich bin abhängig von all denen, mit denen ich rede und denen, für die ich schreibe. Wenn ich Selbstgespräche führe, stimuliert der Klang meiner Stimme mein Ichgefühl. Wenn ich nichts sage, existiere ich nur als Körper. Ich hab keine Lust mehr zu schreiben, die Gedanken rasen, überfordern mich, meine schwarzen Füße riechen plötzlich nach warmem Käse, mir läuft das Wasser im Mund zusammen, der Typ über mir spült seine Pisse an unserer Küche und meinem Zimmer vorbei, ich will große, gemütliche Freundeskreise, je mehr ich denke, desto weniger kann ich sein, ich knabber an meinem Daumen und fühle mich wie ein Idiot, der keinen Grund zur Sorge hat.

Einkaufen, ja, raus aus dieser Straßenbahn, fick dich Text, welcome Schokomüsli. Knusperknusper-Schokomüsli. Das besonders knusprige Familienfrühstückserlebnis, es wird ihre Wangen zart rosa glänzen lassen und ihre Haare wie frisch gewaschen aussehen lassen. -- Nächste Station: Sackgasse, bereitet die Konfettikanone vor: ich werde jetzt aussteigen! Ich werde den Boden der Tatsachen betreten! Ich werde mir jetzt dieses Müsli kaufen! Ich werde niemals die Regierung stürzen. Lasst euch von mir streng in die Augen schauen, ernst und liebevoll will ich euch sagen: "Ich weiß es doch auch nicht!" Meine Stimmt klingt, als würde ich mir glauben.

Wenn ich keine Stimme hätte, würde ich mich einsamer fühlen. Meine Selbstgespräche regen die selben Areale im Gehirn an wie Gespräche mit anderen Menschen. Ich flattere auseinander, wenn ich mich nicht auf irgendetwas Willkürliches konzentriere: nun, so will ich mich auf den Klang meiner Stimme konzentrieren. Sie ist warm und entspannt und angeraut, etwas schief vielleicht, etwas aus dem Gleichgewicht geraten, aber sie strahlt Zuversicht aus. Vielleicht hätte ich mir schon längst Knochen gebrochen, wenn ich eine grelle, zitternde, kindliche Stimme hätte. Ich bin meine Stimme und meine Worte, spreche meine zerrissenen Monologe ins endlose Grau verschwendeter Nachmittage.

Unfähig, Besuch zu empfangen, liege ich wie eine fettgefressene Schlange im Ausguss. Hoffentlich haben die Behörden nicht mitbekommen, dass ich keine Miete bezahle. Hoffentlich wird das Recht auf Wohnen ins Grundgesetz aufgenommen. Ich gähne, zerzause meine Kopfhaut aufkratzend meine Haare und in Frankreich haben die Menschen vielleicht eine rechtsextreme Präsidentin gewählt und wenn ich die deutsche Popmusik überfliege, die in den letzten Jahren allen echten, revolutionären Geist aus den jungen Leuten gewaschen hat, wird mir so schlecht! Wie konnten wir das zulassen! Niemand setzt dem wirklich etwas entgegen und in Deutschland kommen dieses Jahr die Rechtsradikalen wieder zurück ins Parlament und sie laben sich an den Ängsten ihrer Befürworter und Gegner und ich träume manchmal davon, das Gesicht meines Stiefvaters mit siebzehn Messerstichen ins rechte Licht zu rücken.

Ich gähne, ein feiner Schmerz der rechten Schläfe lässt meine Augen zucken. Hiermit nehme ich als freier Mensch an der Weltgeschichte teil und stelle meine Sprache der Bevölkerung zur Verfügung. Wenn Ihr mich gern lest, bin ich Euer Freund! Ich habe so viel zu geben! Ich gähne. Je weitsichtiger man ist, desto hinfälliger erscheint die eigene Kreativität: deshalb niemals den Alltag verlassen. Verzettelung. Einsamkeit. Jemand bereitet einen neuen Anschlag vor.

22 Februar 2017

Das zerbrochene Glas (AL-LAD-Bericht)

Nachdem ich eben im Kaffeerausch meinen Eltern einen erneuten Brief geschrieben habe - diesmal hab ich zehn Dinge aufgelistet, die ich ihnen voraus habe - fühle ich mich bereit, eine neue psychedelische Substanz zu testen, AL-LAD, chemisch stark verwandt mit LSD. (Die Leute von 1plsd.de haben mir freundlicherweise 5 Plättchen davon spendiert, weil ich nun schon zum dritten Mal eine größere Menge 1P-LSD gekauft habe.)

Es ist Montag der 20. Februar 2017, ein grauer, milder, verregneter Nachmittag, genau 15:15 Uhr. Mein Magen ist leer und meine Psychedelika-Toleranz dürfte wieder abgebaut sein, weil ich vor 10 Tagen das letzte Mal 50Mikkrogramm 1PLSD genommen habe (es braucht etwa eine Woche, um die Toleranz abzubauen). Ich lasse zwei Päppchen a 150 Mikrogramm unter meiner Zunge zergehen, bis sie meine Spucke nach ein paar Minuten in einen weichen Klumpen verwandelt hat, den ich runterschlucke. Während die Säure in mein Betriebssystem fließt, stell ich mir auf Spotify eine Liste mit Songs zusammen, die ich hören will, höre dabei erstmal meine wöchentlichen Vorschläge. Da ich nur gute Musik höre, wird mir auch nur gute Musik empfohlen - dafür gebe ich gern 10 Euro im Monat aus, auch wenn ich weiß, dass die Musiker so gut wie nix verdienen, wenn man ihre Songs über Streaming-Dienste hört. Ich erwarte einen sehr entspannten, weichen, fröhlichen Spaziergang ins Zwischenreich ein. Diesmal möchte ich die Wirkung so genau wie möglich beschreiben. Bisher habe ich mich den Substanzen eher ergeben, diesmal will ich ihnen Paroli bieten und mich von den Wirkungen etwas distanzieren. Ich weiß, dass man mit Psychedelika viel über das Gehirn lernen kann, wenn man offen ist und genau.

15:37 - Eine zarte Bitterkeit schüttelt mich durch, mein Magen knurrt, meine Hände werden leicht schmierig und ich beginne zu frieren, weshalb ich das Fenster schließe. Mein Verdauungsapparat wird angeregt, während ich zum ersten Mal Holdens "Caterpillar Intervention" höre. Ein würdiger Einstieg, danke für den Tipp, Spotify. Ich weiß, du hast kein persönliches Interesse an mich, du bist nur ein Programm und ich hab für dich bezahlt, du kennst mich nicht und vieles gute, was du mir tust, ist purer Zufall. Trotzdem... trotzdem...

15:48 - Ich weiß nicht, in welchem Stil ich schreiben soll, es gibt niemanden, den ich beeindrucken will. Ich habe den Anspruch, ehrlich zu sein, aber wem gegenüber? Kann ich überhaupt ehrlich sein, wenn ich doch eigentlich gar nicht wirklich feststehe? Das Ich ist - so behaupte ich ja immer - nur ein sozialer Reflex, keinesfalls eine Substanz, ein Zentrum, auf das man sich verlassen kann, keinesfalls ist man Herr im eigenen Haus, keinesfalls kennt man sich: wie sollte man da ehrlich sein? Man spielt sich selbst eine Rolle vor, so wie man anderen eine Rolle vorspielt. Authentisch ist man vielleicht nur auf dem Klo oder wenn man vor Schmerzen schreit oder wenn man ejakuliert oder besoffen vom Stuhl kippt. Ich löse mich zwischen der Außenwelt, die ich nicht bin und der Innenwelt, die ich nicht bin, vollständig auf. Ich bin der Wunsch, zu schreiben, ich bin das, was meine Freunde jeden Tag wiedererkennen, ich bin ein zitternder Körper, ich verfüge über Worte und Sinne, einen Körper und einem Raum und es gibt Songs die ich mag und Songs die ich nicht mag, so wie ich Leute mag und nciht mag. So bäckt sich ein Selbstmodell zusammen.

15:57 - Mein Kreislauf ist sehr sehr angeregt, ich schwitze, bin zu feinmotorischen Dingen nicht in der Lage, die Fülle an Assoziationen macht es mir schwer, am Telefon die Haltung zu wahren. Eben rief Monnique vom Kunsthaus an, wir bekommen ja noch die Gage vom letzten Freitag. Ich darf nicht vergessen, dass Psychedelika dehydrieren. Wieviel Kollapse konnte ich wohl schon verhindern mit ein bisschen Wasser? Mein lieber Freund Sam schreibt mir, dass er nachher vorbeikommt, weil er ein paar beschissene Tage hinter sich hat und nicht allein sein kann. "sehr gern, komm vorbei wie es dir passt" schreibe ich kurz und knapp.

16:05 - Mein KÖRPER fühlt sich leicht vergiftet, es schüttelt ihn und er hebt ein paar Mal zum kotzen an, aber oh sanfter, lieber, törrichter Körper, du brauchst dich nicht erbrechen, ich hab nicht den richtigen Pilz / Kaktus gegegessen ... Ich huste herzlich, ich heiße die körperliche Anstrengung willkommen, ich spüre wie mein Gehirn sich in den ewigen, psychedelischen Loop einstöpselt. Ich bin ganz verrotzt und das Flckern bei geschlossenen Augen wird stärker und das Schreiben fällt schwerer und mein Körper will sich zu einem zitternden, hin-und-herschwankenden Etwas auf ein Ende dieses Satzes. Ich bin nicht mehr als Sprache, 16:09.

16:16 - Ich fühle mich befreit von meiner Fähigkeiten, Maschinen zu bedienen. In diesem Zustand ist man nicht in der Lage, ein Auto zu fahren oder einen Schrank zu schleppen, das heißt: man hat eine höhere Sphäre der Authentizität erreicht. "Endlich ist er nicht mehr in der Lage, Verkehrsregeln einzuhalten!", sollte man ihn preisen, der sich einen roten Punkt auf die Stirn gemalt hat und über die Verkehrsinsel gefahren ist.

16:21 - Mein Körper versucht sich mit der irrsinnigen Energie der Musik zu verbinden. Mein Ich steht daneben und schaut beläppert, wie meine Eltern hilflos waren bei meinen ersten Wutanfällen. Wow, was waren meine Eltern dumm und kalt und böse. Aus dieser Tatsache kann ich mir einen fröhlichen Refrain knüpfen und locker über die nächsten Jahre tanzen.

16:26 - die Musik ist großartig, iich bin großartig, ich spucke das Wasser, das ich trinke, fast in den Computer. Mein Bauch hat das Bedürfnis sich zu übergeben, weil er nicht verstanden hat, dass ich mich nicht wirklich grad vergiftet habe. Wenn ich mich in der Musik treiben lasse, fühle ich mich von allen Leuten beobachtet, die jemals mit mir geredet haben. Die bunte, schäumende, freundliche Musik wringt mein Gehirn restlos aus. Ich hab das Bedürfnis klarzustellen, dass es hier um weit weit mehr geht als sich zuzudröhnen, um weit mehr geht als sich ein bisschen zu gönnen, weit mehr als bloß ein bisschen Effekthascherisci überdem Abgrund von Erfurt oder Chemnitz oder Grimma. Die Buchstaben beginnen zu tanzen, ich weiß ncht ob es gut ist... aber diesen Gedanke breche ich lieber ab. Die Musik hat ihn als unverdaulich ausgespuckt und in den Müll befördert und da muss er bleiben! Ich behaupte, dass man die Welt missversteht, wenn man nicht den gleichen Musikgeschmack hat wie ich. Ich sehe bunte, orgiastische, ekstatische Straßenfeiern die Pulsadern von Europa reinigen.

Sind Songs immer aus dem Zusammenhang gerissen? Funktionieren Lieder nur für sich? Tu ich den Interpreten unrecht,m wenn ich ihre Werke für meine Zwecke miussbrauche? Das Sichtfeld verschwimmt, aber ich weiß, was ich sage, wo ich bin und wann und so. Aber ok, dann wird es auch schon schwer, ehrlich gesagt, vielleicht gehört dieser Bericht zu dem Brief an meine Eltern dazu. Schrecklich, diese Macht die ich habe, Tatsachen zu schaffen. Ich bestimme, wie es sein soll. Hat es gerade geklopft oder was es nur in der Musik?

Ich habe absolut keinen Plan wie diese Droge auf jemanden anders wirkt, wenn ich ehrlich bin, mich bringt sie immer wieder nur auf das zurück, was ich bin: Worte, Freunde, Musik und Assoziationen. Ich kann einem einsamen, verbitterten Freak in den Wäldern Ohios unmöglich dazu raten, diese Droge zu probieren, so wie ich ihnen auch von Alkohol und Sex und Fast Food raten würde. Schaut nur, wie erbärmlich sie versuchen, noch cool zu sein mit ihren beschissenen Mützen und Gesichtsausdrücken. Das ist alles so unfassbar abstoßend, unfassbar dass nicht alle Leute so sind wie ich!! LEONARD BERNSTEIN!! dililidlidlidldildidldildildi its the eeeeeend of the woooorld as we know it,,,,

Ich sollte es mir abgewöhnen, Lieder mitzusingen, die in Ich-Perspektive geschrieben sind.
Die groben und feinen und optischen und akustischen Veränderungen zu beschreiben, erscheint mir überflüssig, da nur die selbsterlebte Erfahrung, ich überlasse es meinem nüchternen Selbst, diesen Satz zuendezufriemeln. Ich rieche nach Körper, nach Junge, nach Februarende, nach dem Tod meiner Eltern, nach verbranntem Vinyl und der Teufel ist eine Frau mit Geschmack und Liebeskummer.Meine Stärke ist, dass ich mich nirgends verstrickt habe und frei und sündig ins Blaue leben kann, bis alles Blaue aufgetrunken  ist und ich mit der leeren Flasche in der Gosse sitze. Aber es wird alles großartig, wenn wir alle in der gefiederten Seifenkiste sitzen ....

Wenn ich grinsend auf meinem Bett kauere, hab ich das Bedürfnis zu erklären, dass ich mich weder besonders berechtigt dazu fühle, oder es verdient haben es fällt schon schwer Sätze zu bilden, wenn die Musik so viel Assoziationen aufdrängt. Keinesfalls macht die Droge glücklich, man ist nicht einfach gut drauf und kann sich gehen lassen... oder? Es würd spürbar düsterer - d.h. interessanter - d.h. bin ich auch nur einer von vielen trostlosen Junkies die sich von frustierten Hafenarbeitern ficken lassen? Ich behaupte: man ist nur das Wert, was man von sich behauptet. Niemals mehr, niemals weniger.

17:24 - Ich spüre, wie meine verschlöeimten Halsnasenohrensysteme die Musik verschnupfen, eine süße, fiebrig-verschnupfte Nachmittagsrotzigkeit, es riecht nach verbrannten Fritten und meine Mitbewohner haben gute Laune und ich freu mich darauf, dass der geliebte Sam dann vorbeikommt und sein Herz ausschüttet, irgendwann wird die Heilsarmee seiner Tollpatschigkeit ein Denkmal bauen.

17:28 - Die Musik wird plötzlich zu erotisch, ich hab Lust geködert zu werden. Nicht jetzt. Ich skippe den Song. Spotify ist ein Instrument wie LSD oder Sonnenschein. Ich will nicht missverstanden werden!
Wie kann man eine Persönlichkeit ausbauen? Was muss ich wissen, um die Welt zu verstehen? Bin ich mir bekannt? Welche Charaktereigenschaften soll ich in mein Gehirn hängen? Du kannst dich gestalten wie eine weiße Kugel.
DU BIST SO WEIT WEG MUTTER!Trockene Unfreundlichkeit,

17:40 - Ich schreibe dem Ministerpräsidenten unter ein Bild, auf dem er sich eine Narrenkappe aufgesetzt hat und in die Kamera ginst:
 Ich muss es wohl einsehen, meine Weigerung, jedes noch so alberne, inhaltsleere Brauchtum wohlwollend abzunicken und mitzuspielen, wenn der Pöbel seine kümmerlichen Späße treibt, wird es mir unmöglich machen, ein Nachfolger unseres teuren Bodo Ramelow zu werden, dem ich hiermit herzlich am Mantel rupfe und zu Kaffee und Kuchen einlade.<3
Das herzsymbol ist ehrlich gemeint, so viel ehrlicher als ALLES WAS MIR MEINE ELTERN JEEEEMAAAAHAHAHALS mach ich mich unter dem tauben Beifall einer gelangweilten Manege selbst zum Affen.

17:59 - Ich beschließe, Lena Sam und Ewald eine Gruppenmail mit meinem Bericht zu schicken. In dem Moment, in dem ich sie abschicke, platzt Lena das Teeglas und sie schüttet sich einen halben Liter kockendes Wasser über die Beine. Unglaubliches Geschrei, zum Glück Ewald ist vor einer Viertelstunde gekommen, er verarztet sie und fährt mit dem Fahrrad zur Apotheke, ich wippe auf meinem Bett hin und her und höre sehr heitere schöne Musik. Ich weiß, dass ds Drama bald vorbei ist. Ich erinnere mich an Notfälle in meiner Vergangenheit. Wie können Leute nur gleich so panisch und haltlos sein. Ich bin immer ruhig und erhaben und rational, wenn andere aufgebracht sind. Meine Eltern haben mich dafür gehasst: "Steh nicht so dumm rum und helf mit, du Trottel!" Wie ich ihre uncoole Art gehasst hab. Scheinbar ist es nicht möglich, einen ostdeutschen Dialekt zu haben und ruhig und besonnen und liebevoll zu sein. Ich hasse es so sehr, wenn Leute sich in Unglück reinsteigern wie verblödete, überdrehte Kinder. Ich erinnere mich, dass ich mich oft richtig erschrocken hab über die Bosheit und kindische Uncoolness meiner Eltern und meines Bruders. Hilflose hysterische verblödete Fotzen alles. Ich bin so unendlich froh, dass mein Hass und mein Ekel vor meiner Familie und überhaupt der erzgebirgischen Mentalität mich zu einem besseren Menschen macht. ICH BIN ETWAS BESSERES. Ich darf mich nicht schämen, das zu bekennen. All meine Gefühle sind wahr. - Ewald ist überfordert, aber er tut sein bestes. Alle sind angespannt und überfordert und die Musik wird immer heiterer. Was wären wir ohne Musik. Ich höre wie die Scherben zusammengekehrt werden, ich spüre wie die Tränen von Lena fließen, der Unfall hat sie in ein Kind verwandelt. Ewalds Gesicht ist ernst, unerschütterlich ernst, er redet ruhig und besonnen, sein Mitleid mit Lena zerreißt ihm das Herz und die Musik wird immer weicher, fröhlicher, sie schüttelt die ganze Wohnung durch: das ist der einzige Beitrag von mir. Ewald setzt sich auf meinen Sessel und atmet durch, ich wippe auf dem Bett und schreibe ihm eine SMS: "Strange days will track us down" - in dem Moment, in dem er sie empfängt, klingelt es an der Tür. Ich drück den Buzzer, öffne die Wohnungstür und höre Sam die Treppen hochpoltern. Er pfeift fröhlich und ich atme tief durch, hol mir ein Wasser und setz mich wieder auf mein Bett. Ewald ist inzwischen wieder bei Lena im Bad und schaut sich die Wunden an.

18:14 - Ich geh ein paar Runden durchs Viertel und verschnaufe und denke über diese seltsame Verknüpfung nach: mein Bericht scheint mit Lenas Unfall zusammenzuhängen. Ich stell mir vor, dass die Komplexität des Weltgeschehens eine eigene Intelligenz besitzt, so wie die Komplexität unserer Körper-Moleküle uns eine Intelligenz und Persönlichkeit schafft. Ich erinnere mich an all die vielen sinnhaften Zufälle, C. G. Jung nennt das Synchronizität, die mir allein in den letzten zwei Jahren passiert sind. Ich erinnere mich, von vielen Leuten gelesen zu haben, denen sowas besonders unter Gras, LSD oder Hustenstillern passiert. Ich hab das Gefühl, dass das Leben eine Erzählung ist, eine Simulation, vielleicht nur eine interaktive Erinnerung. Bewusstsein und Leben ist derart unfassbar: ich gebe mich dem Universum hin und fühle mich unverwundbar.

Später geh ich mit Sam noch ein paar Bier trinken. Der Abend klingt sehr entspannt aus. Ich kann sehr gut schlafen und wache entspannt und bestens gelaunt auf. Lena geht es wieder besser und wir beschließen, am Wochenende mit Ewald und Sam ein bisschen LSD zu nehmen und nach Leipzig zu fahren und sinnlos in der Stadt zu flanieren.