23 April 2017

Sprache und Selbstbewusstsein

Der US-Präsident hat heute nicht gut geschlafen und ich bin von den ersten Haschischkekse des Jahres etwas überfordert. Keine Angst vor Klischees. Will ich noch etwas einkaufen oder erstmal an meinem Buch arbeiten? Ich komm mir wie ein feiger Streber vor, wenn ich meine Karriere zu ernst nehme. Ich setz mich mit meinem Laptop in die Straßenbahn, schreibe und kaufe auf dem Rückweg ein. So hab ich heute Abend Zeit, meinen Manager, den Perückenmann zu besuchen. Die Kekse sind sehr stark, ideal um über den Rausch an sich nachzudenken.

Was ist passiert? Etwas Grundlegendes verändert sich, eine ungeheure Entspannung setzt ein, der Pessimismus ist wie weggeblasen, vielleicht hat mein Hund recht, wenn er meint, dass Depressionen resultieren aus Bewegungslosigkeit, Phantasielosigkeit, sozialer Isolierung. Der Staat macht einen Fehler, wenn er versucht, die Menschen in den Arbeitsmarkt zu überführen, er scheucht seit so vielen Jahrzehnten schon die heruntergekommenen Kühe und Schweine auf den Fleisch- und Milchproduktemarkt, als ob es für die Menschen nichts wichtigeres gäbe als eine monotone, abstumpfende Arbeit, die jeder bessere Roboter, jeder besseren Software so viele Male effizienter erledigen kann. Die Sozialdemokratie hatten mit den Grünen die Chance, den Kapitalismus gründlich zu reformieren, stattdessen haben sie die Sozialsysteme auf bösartige Weise rationalisiert, entmenschlicht, dem freien Markt geopfert. Sie haben die Hartzgesetze eingeführt und den Finanzmarkt dereguliert, statt die Menschen auf die Digitalisierung ihrer Arbeit vorzubereiten und Steuergerechtigkeit herzustellen. Um nicht mehr wie Gregor Gysi zu klingen, mit dem ich mich vorgestern in der Bahn nach Nürnberg zwei Stunden lang unterhalten habe über meinen Hass auf meine Eltern, nehme ich noch ein kleines Pfeifchen und warte auf den Einschlag.

Warum führen wir nicht in der Zwischenzeit eine Schulpflicht für alle ein, deren Schulabschluss mehr als zehn Jahre alt ist? Vielen fehlt es an den kreativen Fähigkeiten, an denen es nicht den Kindern fehlt, die man in die Schule zwingt und auf ein System vorbereitet, dass es bald nicht mehr geben wird, denn ich hab auf dem Sperrmüll eine Trompete gefunden und werde damit die Bundesrepublik in eine dionysische Räte-Diktatur ... Ich schüttle den Kopf. Ich bin abgeschweift. Abgeschwiffen. Ich schwof ab, er abschwofte. Die Abschwofung wurde vollzogen. Der Abschwuf wurde gemacht. Ich lache zum ersten Mal des Tages und hab Lust auf Schokocreme und Vollkornbrot und dickflüssigen Kirschsaft und vielleicht noch einen Keks und mit einem Gedichtband von Brecht und Field-Recordings, die ich von meinen Hinterhofgeräuschen gemacht habe: die vorbeirauschenden Autos und Vogelgezwitscher und Windrauschen sind verwoben zu einem endlosen, hypnotischen Ambientloop, in den ein gelangweilter Hund seinen frechen Refrain schnauzt, allein gelassen von gelangweilten Arbeitslosen, die ihre Zeit mit Herumbrüllen und Topflappen-Stricken totgähnen. Was wird hier gesühnt? Ich komme mir schäbig vor, weil ich nicht weiß, was zu tun ist, außer sich zu berauschen an der Nichtigkeit, den in Stumpfsinn matt gewordenen Wahrnehmungsapparat im Kloster der Ereignislosigkeit zu rebooten. Solang man Selbstgespräche führt, kann man nicht die Kontrolle verlieren, denn so strukturiert man seine Gedanken.

Ich glaube die Vögel passen ihren Gesang an den Straßenverkehr an, sie spielen mit ihm, lassen zwitschernd wie in Trance durch den polyrhythmischen Auto-Noise ihre Lieder in den gewöhnlichen Himmel tönen, Thüringen ist das Bundesland mit der geringsten Feinstaub-Belastung. Lohnt es sich , darüber einen Song zu machen oder sollte ich diesen Gedanken gar nicht aufschreiben? Wem mach ich was vor, ich hab völlig den Überblick verloren, aber wenn ich laut rede, gewinne ich an Balance: ich bin meine Sprache, die Geschriebene oder die Gesprochene, je mehr ich rede, desto fiktiver bin ich, oder sollte ich etwa all meine verfügbaren Gefühlszustände auf einmal ausleben und alles aussprechen, was ich im Moment denke? Unmöglich. Ich bin, was ich artikuliere. Ich bin abhängig von all denen, mit denen ich rede und denen, für die ich schreibe. Wenn ich Selbstgespräche führe, stimuliert der Klang meiner Stimme mein Ichgefühl. Wenn ich nichts sage, existiere ich nur als Körper. Ich hab keine Lust mehr zu schreiben, die Gedanken rasen, überfordern mich, meine schwarzen Füße riechen plötzlich nach warmem Käse, mir läuft das Wasser im Mund zusammen, der Typ über mir spült seine Pisse an unserer Küche und meinem Zimmer vorbei, ich will große, gemütliche Freundeskreise, je mehr ich denke, desto weniger kann ich sein, ich knabber an meinem Daumen und fühle mich wie ein Idiot, der keinen Grund zur Sorge hat.

Einkaufen, ja, raus aus dieser Straßenbahn, fick dich Text, welcome Schokomüsli. Knusperknusper-Schokomüsli. Das besonders knusprige Familienfrühstückserlebnis, es wird ihre Wangen zart rosa glänzen lassen und ihre Haare wie frisch gewaschen aussehen lassen. -- Nächste Station: Sackgasse, bereitet die Konfettikanone vor: ich werde jetzt aussteigen! Ich werde den Boden der Tatsachen betreten! Ich werde mir jetzt dieses Müsli kaufen! Ich werde niemals die Regierung stürzen. Lasst euch von mir streng in die Augen schauen, ernst und liebevoll will ich euch sagen: "Ich weiß es doch auch nicht!" Meine Stimmt klingt, als würde ich mir glauben.

Wenn ich keine Stimme hätte, würde ich mich einsamer fühlen. Meine Selbstgespräche regen die selben Areale im Gehirn an wie Gespräche mit anderen Menschen. Ich flattere auseinander, wenn ich mich nicht auf irgendetwas Willkürliches konzentriere: nun, so will ich mich auf den Klang meiner Stimme konzentrieren. Sie ist warm und entspannt und angeraut, etwas schief vielleicht, etwas aus dem Gleichgewicht geraten, aber sie strahlt Zuversicht aus. Vielleicht hätte ich mir schon längst Knochen gebrochen, wenn ich eine grelle, zitternde, kindliche Stimme hätte. Ich bin meine Stimme und meine Worte, spreche meine zerrissenen Monologe ins endlose Grau verschwendeter Nachmittage.

Unfähig, Besuch zu empfangen, liege ich wie eine fettgefressene Schlange im Ausguss. Hoffentlich haben die Behörden nicht mitbekommen, dass ich keine Miete bezahle. Hoffentlich wird das Recht auf Wohnen ins Grundgesetz aufgenommen. Ich gähne, zerzause meine Kopfhaut aufkratzend meine Haare und in Frankreich haben die Menschen vielleicht eine rechtsextreme Präsidentin gewählt und wenn ich die deutsche Popmusik überfliege, die in den letzten Jahren allen echten, revolutionären Geist aus den jungen Leuten gewaschen hat, wird mir so schlecht! Wie konnten wir das zulassen! Niemand setzt dem wirklich etwas entgegen und in Deutschland kommen dieses Jahr die Rechtsradikalen wieder zurück ins Parlament und sie laben sich an den Ängsten ihrer Befürworter und Gegner und ich träume manchmal davon, das Gesicht meines Stiefvaters mit siebzehn Messerstichen ins rechte Licht zu rücken.

Ich gähne, ein feiner Schmerz der rechten Schläfe lässt meine Augen zucken. Hiermit nehme ich als freier Mensch an der Weltgeschichte teil und stelle meine Sprache der Bevölkerung zur Verfügung. Wenn Ihr mich gern lest, bin ich Euer Freund! Ich habe so viel zu geben! Ich gähne. Je weitsichtiger man ist, desto hinfälliger erscheint die eigene Kreativität: deshalb niemals den Alltag verlassen. Verzettelung. Einsamkeit. Jemand bereitet einen neuen Anschlag vor.

1 Kommentar:

  1. Tolle und detaillierte Aufnahme Ihrer Eindrücke, sehr angenehm zu lesen!

    Es ist eine tolle Aufnahme die sich auch gut vergleichen lässt mit dem aktuellen Stand der Dinge. Nun, mehr als ein Jahr später, fühlt es sich so an als hätte sich kaum was verändert. Die auswirkungen des Rechtsruck hatten aber mMn. einen geringeren Impact und die Jugend ist freier und selbstbestimmter als man glaubt. Nachdem ich ein paar Minuten drüber nachgedacht habe kam ich doch zu dem Entschluss dass ich wohl einfach nur naiv bin ��, bin mir nicht sicher.

    Auf die Abgeschwiffenheit...

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