23 Juli 2015

23.7. - Komm doch noch ein bisschen näher

(1)

"Warum sich überhaupt noch bewegen, wenn schon alles entschieden ist?", nickte er auf seinem Schaukelstuhl ein. Der Tag fand ohne ihn statt, was für beide ein großes Glück war. Wohl dem, der sich rechtzeitig zurückzieht!

Eine Cannabis-Sucht ist nicht schlimm, irgendwas muss man uns doch zugestehen. Es ist langweilig, in dieser Stadt keine Angst zu haben. Ich liebe es, meinen Freunden über die Schulter zu schauen. Ich liebe es, mir in der Nase zu popeln, während ich fremde Leute anstarre. "Alles ist eine Wiederholung.", rufst du und kippst fast vom Stuhl.

Was habt Ihr davon, wenn Ihr das, was wir wollen, ganz hoch auf den Schrank steckt? Meint Ihr, das macht uns traurig?

Auf welchem Boden steht bloß diese Euphorie? Vielleicht hab ich es zu weit getrieben, vielleicht bin ich wirklich abhanden gekommen. Die Kassiererin ist seit Tagen ungewöhnlich unfreundlich, mein Tätigkeitsdrang wird immer abstrakter und will sich im Sand verlaufen. Von niemandem ernst genommen, kratze ich mit blendendem Grinsen die letzten Cent aus diesem Monat, um mir Obst und Kaffee zu kaufen.
"Nicht immer versuchen, alles richtig zu machen.", wolltest du mich am Telefon trösten, "Du kannst nichts verlieren, was es gar nicht gibt.", wolltest du heute feiern gehen. Mach das, ich bleib zu Hause, and I'm not happy and I'm not sad.




(2)

Wenn jetzt jemand schreien würde "Mach die verdammte Musik leiser, es gibt Leute die wollen schlafen! Du verkommenes Supra-Subjekt du!", dann wäre das nur mit einem heiteren Ende einer Episode von Shameless vergleichbar. Ohne Gras würde mich diese Lappalie mehr bekümmern. Unter Gras wird alles zu einer Lappalie, die gerade deshalb, weil sie eine Lappalie ist, so euphorisiert. Ich könnte sofort mit Schreiben aufhören und in den Moment mich ziehen lassen und wie auf einem Karussell die Leere meines äußeren Lebens anschauen, das innere Leben ist erstrahlt von reichen, strömenden Farben. Das Gehirn tut so, als gäbe es einen Grund zur Freude. Jetzt, wo du schonmal hier unten bist, kannst du auch mal überlegen, ob nicht alle Freude einen echten Grund entbehrt angesichts der dummen Begrenztheit des Lebens. Ich erinnere mich gerade ganz lebhaft daran, wie aufgeregt ich als Kind nachts im Bett der Endlichkeit meines Lebens entgegengezittert habe. (Ganz langsam und lebhaft muss erfahren werden, was gut beschrieben sein soll.) Die Begrenzheit des Lebens so gut es geht meiden wie den hasenzähnigen, kaltäugigen Bösen Marcos in der Schule. Du weißt, nach der letzten Stunde bist du dran. Was könnte ich ihm nur getan haben? Ich schlawendel durch den Tag so gut es geht. Wenn er mich im Gang anrempelt und meine Milchtüte zu Boden fällt, werde ich kurz schlucken. Noch ist nichts passiert. (Ich habe eben "auf den Böden fällt" umgewandelt in "zu Boden fällt", weil ich damit meinen Charakter so prägen möchte, wie ich glaube er am besten zum Charakter "der Person" passt, die ich so fulminanto liebe. Das Gras ist verdammt gut. Endlich kann ich einpacken: das Ende meiner Beschäftigung mit dem Kraut folgt in Form eines Satzes, dem nun Folgenden, ich danke Ihnen schonmal für die Aufmerksamkeit und freue mich, wenn Sie mir helfen würden, tolle Musiker zu finden, mit denen ich Tollheiten erfinden und in die Welt schicken kann in Form von Musik. Der Ventilator ist so schön dezent und eindringlich zugleich, sein Surren erhebt mich über mein Zeitgefühl, ich bin kuschelig zugedeckt von Gedanken und Vorstellungen, Euphorie trotz fehlendem Ziel und Zentrum, eigentlich nur eine Tiefenentspannung, die die Gehirnaktivität deutlich erhöht. So entspannt werden alternativere Gedanken und Stile möglich -> man muss oft stehenbleiben und sich umgucken. Was soll dein Normalzustand werden? Ich frage, weil es ja auch möglich ist, ständig Cannabis zu nehmen. Ich schreibe nicht "bekifft zu sein", weil das Wort so mit ekligen Assoziationen beladen ist und klanglich auch nicht das Niveau hat wie das eigentliche Kraut. Wenn man sich mit Worten beschäftigt, distanziert man sich zwar erst von der Welt, kann dann - da man mehr Überblick gewonnen hat über diese Welt, die mit Worten nicht zu bändigen ist - mit ganz anderen Grundgedanken und einem ganz neuen Lebensgefühl in den Alltag gehen, der kein Alltag mehr ist, sondern ein etwas lahmer Anfang eines schaurigen Abenteuers mit einem ungewöhnlich heiteren, über die Maßen gelösten Happy Ends, ähnlich dem, was sich gerade für diesen Text ergibt: habe ich nicht schon vorher ein Ende machen wollen?


=====

(3)

Ich habe mit Martin letztens über Meditation und Leere geredet. Dabei hab ich gemerkt, dass ich Leere und Nichts immer synonym verwendet habe, da ich es nicht zu unterscheiden wusste. Jetzt erscheint mir der Unterschied so wesentlich, dass sich etwas in mir einen völlig neuen Namen wünscht.

Betreff: Nichts/Leere
Soeben ist mir der Unterschied aufgegangen: das Nichts befindet sich jenseits des Lebens, die Leere befindet sich im Leben. Die Leere befindet sich in einem existierenden Raum, das Nichts hat keinen Raum. Im Gegensatz zur Leere kann das Nichts nichts bewirken. Es ist virtuell. Wenn ein Stift nicht mehr existiert, existiert das Nichts des Stiftes nur in unseren Gedanken. Ohne Gedächtnis und Todesbewusstsein kann man keinen Begriff vom Nichts haben.
Leere ist ein realer Zustand, das Nichts versammelt hingegen alles, was gewesen ist, was nicht mehr ist und was niemals sein wird. Oder noch straffer: Nichts = Tod. Leere bedeutet: Abwesenheit von Zielen und/oder rationalen Gedanken und/oder Gefühls-Regung. Leere ist bloß ein Gefühl, denn Existenz kann niemals leer sein. Leere ist Beruhigung, die sich bis zu einer Depression und vielleicht noch viel weiter steigern könnte, wenn man entsprechend veranlagt ist. Die Leere vermittelt ein alternatives Lebenskonzept. Das Nichts ist Abwesenheit von Leben und Raum und Zeit. Da Materie nie verschwindet, sondern sich nur verwandelt, ist alles an einem Gegenstand oder einem Opa, der nicht mehr ist, noch da, bloß in einer anderen Form. Das Nichts beschränkt sich nur auf Ideale, auf Vorstellungen... "Mein Stift ist weg." Die Materie, die zu etwas zusammengefügt war, das wir "Stift" nennen, hat sich auf eine Weise ausgebreitet und zereinzelt, dass wir sie nicht mehr als "Stift" gebrauchen können. Leere kann man empfinden, wenn man nichts sagt, nichts tut, keine Ziele hat, nichts vorhat und in den Himmel schaut und vorallem: nicht mehr weiß, wer man ist.

=====

(4)

Plötzliches Gefühl von Beklemmung. Ist das der Anfang der lang ersehnten Panikattacke unter Gras? - Ich fang absolut nichts mit meinem Leben an. Ich beobachte, wie ich das schon während des Schreibens in Gedanken relative (ich schreibe für Andere, etc.), aus Furcht, mich der Einsamkeit zu stellen, auf die ich mich zubewege, wenn sich nicht bald etwas verändert. Vielleicht macht mich das Gras blind für das Elend in dem ich stecke? Nein, Quatsch! Das ist nur ein weiterer Aspekt der Panikattacke, die vielleicht grad anrollt. Bevor ich Gras geraucht habe, war auch nicht mehr in meinem Leben los als es mir unter Gras vorkommt. Ich glaube der Satz war wirr und vielleicht nicht ganz richtig, aber schön. Ich frage mich, warum Captain Beefheart die Residents nicht mochte. Hab ich mich bestimmt schonmal gefragt. Mich regt es so auf, dass ich nicht immer die Musik so ernst nehmen kann wie jetzt. Vielleicht dachte der Cpt. dass sie sich über ihn lustig machen oder nur schlecht kopieren oder er hatte Angst vor ihnen oder war einfach ein arroganter, genervter alter Onkel, der komische Drogen nimmt, die er mit seinen komischen Leuten in der Garage hinter dem Haus braut. Es ist so interessant, dass Cannabis bei meinem Nachbarn so anders wirkt. Vielleicht sollte ich annehmen, dass die Tatsache, dass jeder Mensch einen anderen Körper hat, dazu führt das Drogen bei jedem anders wirken. Das würde ja bedeuten, dass Cannabis keine sozialisierende Droge sein kann - sie lässt dich glauben, dass du mit Anderen auf einer Ebene bist, dass ihr in der selben Situation seid und euch mit den selben Dingen befasst. "Aber das stimmt ja gar nicht!", stampfe ich auf den Boden wie lang nicht mehr und ärgere mich weil ich nicht immer in diesem Zustand hier sein kann... High und allein ist besser als nüchtern und mit Anderen. Das ist kein Einwand gegen Gras, sondern gegen die Gesellschaft, die das zu einem Einwand erklären sich genötigt fühlt. Der Verlust meiner Kontrolle über meine Worte macht mich heiter, denn die Musik ist heiter. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass ich ihn küssen werde. Ich könnte eine Bedeutung für Andere haben, wenn sie sich meine Art, mit Worten, also mit meinem Beruf umzugehen, abgucken und für ihr Leben anwenden, zumindest mal versuchsweise, am letzten Arbeitstag vor dem Urlaub oder während einer manischen Phase.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen