26 Juli 2015

Spinnenfäden

Halsüberkopf in die sterile Fülle sämtlicher Möglichkeiten. Bruchlandungen ohne Folgen. Keine Geschichten mehr! Garstige Kinder. Wir sind erst authentisch, wenn wir den Boden unter den Füßen verloren haben, so als würde Bodenhaftung uns nur erinnern an die Unbestechlichkeit des Friedhofs, wo uns immer das letzte Urteil gesprochen wird.

Besoffenen Leuten wirres Zeug um den Hals hängend, erleuchtet von einem dunklen Sativa stieg ich durch die langweilige Intensität des Abenddämmerungsgraus. "Du bist momentan der einzige, der dich genau wahrnimmt, momentan, momentan, momentan!", ermutigte mich meine Hauptstraßenmelancholie zum Lallen und Stolpern, und lallend und stolpernd entdeckte ich endlich, dass ich kein Leben mehr führen kann, in welchem ich nüchtern entscheide, was zu tun und zu lassen ist und der Zusammenhang von Kiffen und Arbeitslosigkeit mag Euch klar sein: Arbeitslosigkeit ist eine von vielen möglichen Ursachen, weshalb Menschen gern Gras rauchen. Wer aber einen erfüllenden Job hat und ihn gut macht, kann nicht einfach von Cannabis aus der Bahn geworfen werden, und wenn du keine Arbeit hast, weil dich keiner will, weil dich nichts interessiert oder du nichts zu geben hast, dann wird dir Gras allein auch nicht weiterhelfen.

Künstler werden schließlich dafür bezahlt, sich ewig um sich selbst zu drehen: im grauen Himmel die Klinge eines Regenbogens, ein Hubschrauber zieht seine Kreise, eine fröhliche, schiefe Posaune und kühler Nieselregen, Montagnachmittag, an der Auenschanze in Erfurt. Das Haus ist nicht so stabil wie das Mauerwerk vermuten lässt. Wieviel Leute belästige ich gerade mit der über einen Gitarrenverstärker laufenden Musik? Den Strom hab ich aus dem Keller gezogen, das Internet von meinem Nachbarn und ich glaub mein Handy ist jetzt auch abgestellt. Bald ist alles auf Ausgangsposition. Entscheidende Dinge passieren hinter dicken Vorhängen, ich bin wirklich vom rechten Weg abgekommen, ich bin völlig losgelöst von Ängsten und Absichten. Die zunehmende Verwüstung meiner Wohnung scheint Folge meiner Unfähigkeit zu weinen zu sein. Ich weine mit meinem Müll, meinem Sumpf, meiner Dunkelheit, meinen Irrtümern und Bosheiten. Wird mir gleich der Strom abgestellt?

Wir müssen unsere Gesichter neu erfinden und abfotografieren und in die Welt halten und sagen, was wir können wollen und wollen können; erstmal die Fresse weit aufreißen und durchdrehen. Ich komme mir vor wie in einer MDR-Nachmittags-Casting-Show auf weichen Sofas, auf denen es darum geht, Leute für einen Verlag zu finden. Ich müsse mich von meiner besten Seite zeigen, haben sie mir geraten. Ratschläge in die Magengrube. Meine Wörter zu einem grauen, zähen, klebrigen Brei zusammenkauend, stehe ich mit beiden Beinen im Leben und erkläre all mein Hoffen und Zittern für ungültig. Alles ist so wunderbar ärgerlich! Ich habe keinerlei konkrete Vorstellungen von irgendwas. Ich bin ein freundliches, geschlechtsloses Wesen, das in sich selbst feststeckt wie in einem Film ohne Handlung. In welchem Film willst du sitzen?

Wie können wir Leuten, die nicht glücklich sind, nicht zugestehen, ihr Leben, ihr Bewusstsein, ihre Zukunft zu verändern wie die Einrichtungsgegenstände in ihren Wohnungen, wie ihre Freunde, wie ihre Youtube-Playlisten? Meine solidarischen Grüße an alle, die rufen: "Wo bekomme ich genug Wahnsinn her, der meine Scham und Zweifel ersticken kann? Ich will sie zappeln und ganz langsam sterben sehen. Ihnen vielleicht zwischendurch bisschen Hoffnung geben, sie könnten doch entkommen, aber nein nein, ihr bleibt hier und sterbt weiter!" - Vielleicht ist man es seiner Jugend schuldig, dass man sich mit Optimismus besäuft, vielleicht werde ich immer verklemmt bleiben. Ich muss mit irgendwas verschmelzen, bevor ich mit nichts mehr kompatibel bin.

In der Einsamkeit fangen die inneren Leitlinien zu funkeln an.

Autismus oder Epilepsie: die zwei reizvollsten Möglichkeiten, das Leben abzurunden.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen