22 Februar 2015

22.2. - Leben ist nicht dringend

Der Typ über mir hat mich mit so lauter Metal-Musik geweckt, dass ich das Markenlogo auf den Drumsticks sehen konnte. Ich erhebe mich mit einem blöden Grinsen und wünsche mir, in einem Roman zu landen. Ich nehme mir vor, einen neuen Roman zu schreiben. Er handelt von einem insomnischen Nichtsnutz, der immer mehr Erinnerungsvermögen verliert, sein Bewusstsein verliert Vergangenheit und Zukunft, er vertieft sich in die Gegenwart, alles fließt an ihm vorbei, nichts verhärtet sich zu einer Idee, einer Überzeugung, einer Lust. Er hat nur seinen Körper, die Gegenwart, die absolute Freiheit. Ohne Identität vergisst er immer wieder was er will, wer er sein könnte. Eine 200-seitige Meditation. Das pure Jetzt und Hier als einzige Rettung vor drückender Leere, dem Vakuum des Vergessens.
"Das Leben ist doch nicht dringend!", widersprach er Morrissey und hoffte, sich nicht in den nächsten zwei Minuten schon wieder zu widersprechen, denn er ahnte, wenn das Leben wirklich nicht dringend wäre, würde er sich nicht über den plötzlichen Anfang dieses Romans wundern, in den er mit struppigem Haar und von Schlaflosigkeit verpeitschtem Gesicht landet.


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Reicht es nicht, wenn Künstler das Leben einfach ein bisschen interessanter machen? Mit diesem Gedanke will ich meine Zweifel, ob ich als Künstler tauge, erstmal ganz tief in die Mottenkiste stecken. Frag ich mich gerade, was an mir interessant ist und was uninteressant ist oder überlasse ich diese Frage den Leuten, denen ich mich anbiedere? Zweiteres natürlich. Was weiß ich, was die Menschen haben wollen. Ich kann mich nur geben, wie ich bin. Ich freu mich darauf, den Roman über Einsamkeit und Schlaflosigkeit und Identitätsverlust zu schreiben.

Wie geht es in diesem Blume-Buch weiter? Ich habe noch 30g-Prunkweide-Samen. Das wäre eine sehr sehr starke Dosis. Mit ihnen werde ich in den nächsten Tages das letzte Kapitel dieses Buches bestreiten. Immerhin habe ich sie als neuen Protagonisten eingeführt.

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Habe eben was ins Schriftstellerforum geschrieben.

Wir hinterlassen Werke, um sehen zu können, wie oder ob wir uns entwickelt haben.

Lest mal alte Texte von euch, während ihr Musik hört, die euch heute gefällt und damals gefallen hat. Merkt ihr, was sich verändert hat an euch?

Gerade bin ich etwas wackelig, ich hoffe das stört euch nicht und glaubt nicht, dass ich schreibe um zum Konsum legaler/illegaler Drogen aufzurufen. Ich höre ein kate-Bush-Album, dass ich früher mochte und heute noch mag, und lese in einem alten Philosophie-Forum Texte durch, die ich vor acht Jahren geschrieben habe (mit einem längst deaktivierten Account). Es kommt mir vor, als wenn ich unfreundlich durch die Worte hetze wie ein schnöseliger, genervter Banker... Entschuldigung! Entschuldigung! würde ich ihnen zurufen... und alles wird schneller... na egal...
Also ich höre Kate Bush wie damals, als ich die Texte da schrieb. Irgendwas ist identisch und irgendwas hat sich verändert. Das ist so interessant. Was wären wir nur ohne Aufzeichnungen früherer Äußerungen?
Es ist toll festzustellen, dass ich jetzt viel mehr Stil habe, viel reifer und stabiler und skeptischer und zurückhaltender bin als früher. Haha, was war ich aufdringlich, pampig, gehetzt. Ich klinge da wie ein Mädchen, dass sich in Nietzsche verliebt hat und zum ersten Mal sich traut, den Eltern die Meinung zu sagen. Es ist toll, irgendwo draufzeigen zu können, wenn man versucht, den Anderen glauben zu machen, dass man früher so anders gewesen ist. So naiv, so einfach gestrickt, und so pampig optimistisch.

Würdet Ihr Euch anders wahrnehmen, wenn ihr nicht wüsstet, was ihr früher geschrieben habt?
Ach ich bin so froh, dass ich euch das fragen kann. So ein Forum, so ein Internet ist schon was gutes!! :)

Oh, wie ich gerade merke, sollte ich euch lieber warnen, Musik anzuhören, die euch an eine damalige Liebe erinnert, während ihr Texte aus der Zeit lest. Es ist total schrecklich sinnlos, dass sich eine tolle Gegenwart in eine Vergangenheit verwandelt. Alles woran man sich erinnert, lacht uns höhnisch aus wie ein Autofahrer, der uns eine Weile mitgenommen hat und uns dann mitten in der Pampa rausgesetzt hat und weitergedüst ist. Wie kann man nur derart gehässig sein?

Wir stehen unserer vergangenen Jugend gegenüber wie ein Kind seiner ersten Liebe, es traut sich nicht zu sagen: bleib bei mir, ich brauche dich.

"Jetzt küss ihn doch!", sagen die lieben Freunde und die Mutter, die um mich herumstehen, ich hab eine Träne im Auge, ich fühle mich so unendlich geliebt und jetzt würde ich mich trauen, ihm zu sagen, dass ich ihn liebe, aber jetzt geht es nicht mehr. Jetzt ist nur die Musik von damals hier.
Das ist so ein seltsames Gefühl, man glaubt, dass man immer noch der selbe wie früher ist, aber man weiß, dass das nicht stimmen kann.
Ich bin total aufgeregt, aber meine Eltern und Freunde sind nicht hier, um mich zu beschützen vor meiner Hysterie und Verwirrung.

Das wäre niemals passiert, wenn ich nicht die alten Texte gelesen hätte...

Es ist gut, dass es sowas gibt. Es tut gut zu wissen, inwieweit man sich verändert hat. Vielleicht ist das nicht so gut für Leute, die sich geistig und körperlich auf dem Abstieg befinden. Vielleicht ist es ihnen aber auch ein Trost, dass sie sich mit ihren frühen Texten trösten können: "ich habe mich entwickelt, das bedeutet: ich habe gelebt. Was will ich mehr? Ich bin frei..."

So wie man einem Künstler nicht unterstellen kann, dass das, was er sagt, ernst gemeint ist bzw. dass es seine eigene Meinung ist, dürfen wir das anderen Leute auch nicht unterstellen! So wie der Künstler mit Gedanken, mit Inszenierungen, Stilen und Haltungen experimentiert, soll das auch jeder andere Mensch machen dürfen. So wie ein Musiker sich an verschiedenen Genre ausprobiert um herauszufinden, was ihm liegt, womit er am meisten Erfolg hat, und noch als professioneller, etablierter Musiker sich immer an neuen Dingen ausprobieren darf. Alles was man tut und von sich und der Welt hält, ist erstmal nicht mehr als ein Test - und vielleicht nie mehr als nur ein Test.

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Ich schaue mit dem letzten Gras den Film "Birdman". So ein erstaunlich guter, kunstvoller Film. Vor ein paar Stunden gab es dafür Oscars für die beste Regie und besten Film. Und der Film war wirklich so gut wie alle sagen. Jetzt habe ich wirklich keine Zweifel mehr, was ich als Künstler will. In letzter Zeit sehe ich sehr viel gute Filme: Bad Boy Bubby, Barton Fink, Birdman... Sag mal! So viele Bs. :-)
Er wurde im Kino mitgefilmt. Die Bildqualität war gut, aber der Ton etwas dumpf und es war ein bisschen Gelache und Gerede vom Kino-Publikum zu hören. Hatte die Vorstellung, dass man so Stimmenhören entwickeln kann, aber noch bin ich nicht so weit. Eine Idee für einen Film wäre, dass man auf die Tonspur des Film eine Kinogeräusch-Kulisse legt - der Zuschauer darf nicht wissen, dass sie existiert. Er soll denken, dass das Publikum eben an dieser Stelle gelacht hat oder irgendjemand dies und das dazwischengerufen hat. Außerdem könnte man einen Film extra für die illegalen Streaming-Portale machen, Filme mit verwaschenem Bild und Ton, so dass man denkt, er wäre vom Kino abgefilmt worden, dann aber rutscht man Stück für Stück in die Welt dessen, der den Film gemacht hat. Eine Art Found-Footage-Film. "Gehört das zum Film?" - Ich habe Lust, alle Ebenen zu durchbrechen, damit man wirklich keiner Perspektive mehr vertraut, alles anzweifelt und nichts als gegeben hinnimmt, nicht mehr ohne Hintergedanken in eine Phantasiewelt eintaucht.
Habe mich entschlossen, den ganzen neuen Tag wachzubleiben. Bis seit 18 Uhr wach, das sind jetzt fast 20 Stunden. Das Licht ist grell, der Jazz entspannt und freundlich und fröhlich, der starke Mate-Tee lässt eine warme Energie stabil und angenehm durch meinen verbogenen, verspannten Körper sickern. Ich fühle mich wie eine Berühmtheit, die im grellen Scheinwerferlicht einer verwirrten Öffentlichkeit einen Bericht abgibt. Dreimal geprüft und den Satz dick und fett als richtig abgehakt. Wenig gegessen haben und mit Koffein lange wach bleiben hat eine Wirkung, die an Cannabis erinnert. Es ist ganz klar und deutlich ein anderer Bewusstseinszustand, den man für etwas Anderes benutzen kann oder einfach nur als solchen genießen kann. Von Natur aus fällt es mir ja schwer, mich auf Dinge einfach direkt einzulassen, das Schreiben schützt mich vor einer möglicherweise gefährlichen Realität. Hinter meinen Zeilen fühle ich mich jedenfalls sicherer. Ich hab zwar Lust, mich hinzulegen, aber auch weiterzuschreiben. Die Musik wird immer aufdringlicher, mein Verstand glaub sich immer unbestechlicher, oh wie gern würde ich jetzt jemandem ein Interview geben. Ich würde gern eine lebenswichtige Entscheidung treffen, aber mir fällt keine ein.

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