13 Mai 2015

DXM-Intervention III


13. Mai
Irgendetwas hat es mit dem Individuum auf sich. Der Glaube an das eigene Ich, die Selbstverständlichkeit eines strahlenden Ichgefühls beschützt uns vor all den Möglichkeiten, die unser Gehirn noch zur Verfügung hat, um sich mit der Realität auseinanderzusetzen. Als ich mir vor ein paar Tagen mit dxm die Tür zum Wahnsinn wirklich einen echten Spalt aufgemacht habe, seit ich weiß, dass es eine wirklich andere, unheimlich ernste Seite gibt, dort wo der Tod nicht nur eine Idee, sondern eine Möglichkeit, eine akute Gefahr ist, seit ich eine Verbundenheit mit "den Anderen" gefunden habe, seit ich zum ersten Mal eine unheimliche Furcht vor meinem Gehirn empfunden habe, ist es mir nicht mehr möglich, an die Idee eines Ichs zu denken, ohne zu glauben, in einer Illusion zu leben. Die Menschen ahnen alle, dass es eine "andere" Seite gibt, dass es Wahnsinn und Tod gibt, sie wissen, dass man bestimmte Grenzen nicht ohne Folgen überschreiten kann. Ich weiß nicht, was ich aushalten kann. Ich kann nur als freier, lieber, skeptischer Mensch der anderen Seite die Hand reichen. Strecke ich einem Löwen meinen leckeren Arm ins Gesicht? Oder verbinde ich mich mit einem grundlegenden Aspekt der Realität? Die Kluft zwischen Realität und Alltagsrealität ist ein Skandal, über den man stolpern muss, wenn man sich für die Möglichkeiten des eigenen Lebens interessiert. Ich spüre jetzt, eine halbe Stunde nach Einnahme und begleitet vom einzig brauchbaren Stones-Song (Sympathy for the devil) die Wirkung der Tabletten, diesmal nur sechs statt wie letztens zwölf. Allein wirken sie viel viel stärker. Ich weiß nicht genau, wann es war, als sie mich letztens so umgehauen haben. Montag Nacht? Jetzt ist Mittwoch Nacht. Vielleicht ist zu wenig Pause gewesen. Doch ich habe heute ja die Hälfte genommen und weiß, was passieren kann... Was tut der Körper und das Bewusstsein, wenn das Ichgefühl betäubt ist? Pure Existenz. Keine Sicherheit. Ein Urzustand. Eine ganz andere Perspektive. Losgelöst und ohne Ziel. Der Körper ist die einzige Substanz, über die man verfügt. Schwindelgefühl, leichte Übelkeit, ein angenehmes, freundliches stoned. Eine leichte Euphorie wie beim Fasten, dazu mein sperriger, schwerfälliger Körper. Wenn ich an mich denke, komme ich mir vor, als würde ich mich auf die Bühne, ins Scheinwerferlicht schubsen und mich einer unbekannten Masse ausliefern. Was soll ich hier? Ich würde gern traurige Augen haben. Wieviel Wahrnehmung, wieviel Leben erträgt man? Wieviel Ereignisse kann mein Gehirn überleben? Ich bin ein selbstbewusster Gegenstand. Die Musik schwatzt mir etwas von Seele und Halt und Zukunft ins Ohr. Ich höre gern zu und fühle mich fast so, als würde sich ein Lehrer über mich beugen und mir einreden, dass sich mein Leben lohnt. Er wird bezahlt dafür. Danke, die Stunde ist vorbei, sie können sich wieder in ihre Dunkelheit verkriechen aus der sie kommen. Wenn ich akzeptiere, dass ich ein Schriftsteller bin, bin ich nicht mehr so allein. Langsam dissoziiere ich mich, aber die Panik vom letzten Mal bleibt aus. Die Musik ist aufdringlich, fettig, freundlich, weiß nichts von mir. Die spielen mit mir. "Komm, wir machen was, was den Leuten gefällt." Ich laufe um die Idee herum in kleinen Pinguin-Schritten und setze mich dann auf den Boden und pflücke Blumen und warte, was der Himmel für mich zu bieten hat.. nicht dass er ein Angestellter von mir ist... nicht, dass ich ihn bezahlen kann... Ich darf mich nicht schuldig fühlen, ich darf mich nicht in die Idee verrennen, dass ich dankbar sein muss, dass ich etwas leisten muss. Jeder erwartet etwas von mir, ich möchte nicht an meiner Unfähigkeit, diesen Erwartungen nachzukommen, zu grunde gehen. Unser schönes Haus schwankt und wir werden bald hier rausgeekelt. Es ist schön, so kindlich ausgeliefert zu sein, wenn es Eltern gibt, die einen beschützen. Doch es gibt niemanden, der uns beschützt. Es gibt niemanden, der sich für uns interessiert. Wir sind alleine in dieser Welt. Was können wir tun? Ich habe Angst, dass dieser Text jetzt schon zu Ende ist. Ich weiß nicht, was ich tun soll, außer jetzt zu schreiben. Vielleicht sind die Nachbarn noch wach...

Nein, keiner mehr ansprechbar. Ich sitze auf dem Klo und spüre, dass ich wieder in einem ganz anderen Zustand bin als üblicherweise. Wichtig: trinken und nicht mehr nehmen. Interessant: wenn man sich Worte anschaut -> Zeichen, die so viel auslösen. Jedes Wort ist Teil meines Lebens, jedes Wort hat eine andere Schwingung, eine andere Funktion. Es ist etwas Konstruiertes. Die Buchstaben sind die Bausteine der Wörter. Es ist eine feierliche, tiefe Tradition, diese Bausteine auf diese Weise zusammenzufügen. Schau ich mir ein Wort an, so sehe ich, dass es nur ein Wort ist. Dieses "nur" will mir Angst machen. Alles nur Worte. Was, wenn alle Worte versagen? Wahnsinn könnte der Zustand einer intensiven Wortlosigkeit sein. Die Worte beschützen uns vor dem Universum, dem Tod, dem Nichts. Die Worte sind Ideen, sind Versuche, sind Blumen, sind Steine. Ich schreibe ein bisschen automatisch, d.h. ich tippe ab, was mir die Zukunft zu diktieren scheint, grinst ein sonniges Gesicht mich an: "Du bist am Leben, also mach was daraus." Das nervige Problem ist: ich weiß nicht, was. Ich glaube, dafür einen Kuss verdient zu haben von dir, nur dir. Jeder will nur von dem einen geküsst werden. Ich meine wirklich geküsst. Küss mir eine Bedeutung auf mein Gesicht, halt mich fest wie ich dich festhalte in diesem taumelnden Universum aus Gemütlichkeit, Kälte, Unverständlichkeit und Angst. Ich will in deine Augen schauen, mein Herz will sich am Glanz deiner Augen festhalten, mein Herz will sich öffnen, ich will mit dir gemeinsam in die Unsicherheit strudeln, und du bist nicht hier, alle Menschen erinnern mich an deine Abwesenheit, ich würde am liebsten verschwinden, in den Himmel fallen, wenn du mich nicht festhältst. Gaukel ich meinem Körper nur Möglichkeiten vor, die für ihn nicht in Frage kommen? Diese Frage starre ich wie ein behindertes, süßes, liebes Kind in dein Frühstück. Du liest die Zeitung und streichelst meine roten Haare. "Ich bin bei dir, du brauchst keine Angst vor den Leuten haben, die das Haus hier umstellen." Du nippst an deinem Cafe und blätterst die Seite um und ich popel in der Nasen und jeder, der das hier liest, muss lachen und ich liege unter dem Tisch und schau, wie die Leute lachen und mit den Schultern zucken und sagen: "Ja keine Ahnung, wie es jetzt weitergeht." Wir sind in diesem verdammten Moment gefangen, deswegen sind wir so euphorisch. Würden wir an unsere Vergangenheit und Zukunft denken, würden wir zusammenbrechen unter der schwabbeligen Last eines verzweifelten Lachens. Doch wir stecken hier fest wie ein Holzlöffelchen in einem Erdbeereis.
Der Freundeskreis besteht aus instabilen, schönen, besessenen, verzerrten Hochmütigen, depressiven, lustigen, feinen Ewig-Sonntägigen, angespannten, süß-inkonsequenten Leuten mit einem warmen Herz, auf die der Bürgermeister sich nicht verlassen kann, weil sie so traurig sind (alleine). Ich weiß nicht welche Funktion ich habe, niemand hat eine Aufgabe für mich in den Briefkasten gelegt. Ich will nicht dass etwas passiert. Das schreibe ich nur, weil meine Finger klebrig sind vom Schweiß, den die Tabletten aus mir herausdrücken. Der Satz kann erst seine Brisanz zünden, wenn man sich vorstellt, wie seine Wörter durch die Wohnung stürzen wie mein besoffener Nachbar, der Ibuprofen genommen hat, um die Schmerzen einzuweichen, die ihm eine Waschmaschine bei einem Umzug vorgestern in die Schulter geklemmt hat. "Hier, nimm das!" Jeder drückt seinen Mitmenschen irgendwas rein. Wir prägen uns, wir beeinflussen uns. Ein Freundeskreis ist ein Eintopf. Unserer Eintopf wird vom neuen Vermieter ausgeschüttet, weil er der Stadt nicht schmeckt. Wir sind die stinkenden Socken von Erfurt. Man will uns die gute Laune nehmen, man zeigt mit dem Finger auf die bedrohliche Abenddämmerung, die unser Haus umkreist. "Seht ihr denn nicht?" Ja, wir sehen, aber wir verhalten uns nicht entsprechend, wir machen einfach nicht das, was ihr von uns erwartet. Das Leben ist kein Film, der bestimmte Regeln einhalten muss. Wir sind frei. Es ist Prüfungszeit und wir hängen besoffen auf der Schultreppe und draußen geht ein fürchterlicher Sturm nieder und wir wollen gar nicht nach hause, wir haben uns, hier auf dieser Treppe. Die Eltern leben in einer ganz anderen Welt, genau wie die Lehrer. Unser Schiff schaukelt hin und her, wir wollen nicht an Deck, wir wollen die Welt da draußen nicht, wir wollen sie zurückschieben, wir wollen da nicht rein. Wir sind weiche, langsame Kinder, die lieber Löcher in den Boden bohren wollen (um die Freiheit zu vergrößern die zwischen Himmel und Erde eingeklemmt ist) oder Dingen beim Wachsen und Verfallen zusehen wollen und nicht mit Antidepressiva und Alkohol vollgepumpt auf die Dorf-Kirmes geschubst werden wollen und besoffen tanzen und am nächsten Morgen in den Ruinen unserer Körper erwachen, jetzt wird die Temperatur unfreundlich, ich bin froh, dass sich ein Automatismus um meinen Atem kümmert, ich schwappe an den Rand meines Gehirns. Wir glotzen in die Zukunft und wissen nichts. Wir brauchen Wärme und wissen nichts. Wir haben sympathische Stimmen und wissen nichts. Wir reflektieren über das, was wir tun und wissen nichts. Wir sind weder fröhlich noch depressiv, wir sind pumpende, schnaubende, dehnende, streckende, atmende Körper. Niemand kann uns unseren Körper wegnehmen, niemand kann uns unsere Sehnsucht wegnehmen. Sie ist fest verzahnt in unserem Herzen, die Zeit hat sie verzahnt mit all unseren Organen. Wir tragen sie in die Zukunft. Woran glauben wir eigentlich? Wofür zappeln wir uns ab, wenn nicht für ein paar angenehme Momente, bevor alles über uns zusammenstürzt...
An meiner Körperhaltung kann man ablesen, dass ich nicht weiß, welche Funktion ich in der Welt habe. Ich schwebe wie ein Luftballon über der Stadt und hoffe, dass man mich nicht loslässt. Ja, wer hat mich überhaupt in der Hand? Dass ich noch existiere, ist ein Grinsen, das einem schönen Sonnenuntergang entgegenfließt. Ich darf nicht vergessen zu trinken, denn das dxm dehydriert. Der Wunsch nicht zu sterben ist wichtiger als die Haut, die den Körper von der Welt abtrennt.
Wenn das Ich ausgehebelt ist, begreift man, wie seltsam es ist, zu existieren neben all dem anderen, was existiert. Ich habe ein Gehirn, so wie andere Menschen auch. Wenn dieser Gedanke mir ins Bewusstsein spühlt, komm ich mir so viel klüger, tiefer, stabiler vor als alle Anderen. Ich weiß, dass meine Worte nicht ausreichen, meinen Rausch zu fassen. Aber der Hinweis, dass der Rausch mehr Wissen und Wahrheit bringt, ist wichtig, ist ein Stück Schokolade, das man dem Selbstmörder auf dem Dach in den Mund stecken kann. Ich spüre, wie mich mein Nachbar und Cioran und die Lieder die ich höre so prägen wollen wie ich als Kind geprägt wurde von Menschen und Gedanken und Musik.
Drogen geben uns die Chance, Dinge in unserem Leben nachhaltig zu korrigieren.
Diese sechs Silomat-dxm-Pillen in ein paar Tropfen Vodka aufgelöst sind total ausreichend. Ein weicher Teppich. Die Übelkeit hat sich ja vorhin in eine milde Euphorie verwandelt.
Wenn man "eben grad" mit "damals" ersetzen würde, würde man sich die Chance verpassen, das Leben geräumiger zu machen. All die Sachen die ich schreibe sind gut. Interessant, dass man erst richtig denken kann, wenn man taumelt. Dieses nervige Ich steht sonst ja dauernd im Weg. Es biegt mit Ängsten und Hoffnungen die Wirklichkeit kaputt. Ohne all diesen Kram sieht man erstmal, was für Möglichkeiten man eigentlich hat. Ich möchte mich nicht mehr für meinen Stil entschuldigen -> ich bin reifer geworden. Die Abblende gehört zum Lied - so wie die Rundung eines Sessels zum Sessel zum Sessel zum Sessel. Da ist wieder das Echo der Euphorie. Guten Tag du! Mit diesem Text vergewissere ich mich nur, dass ich existiere. Schreiben ist ein Abenteuer wie jede andere Arbeit auch. Ich habe das Gefühl, den Text fertig zu haben. Ich habe das Bedürfnis, tausende Kopien davon anzufertigen und über die Stadt zu verteilen. - Ja, sowas kann man machen, wenn man lebendig ist, fühle ich mich als ob ich in einem dunklen Schlafzimmer träume, ach so, ich sitze ja auf meinem Bett in diesem dunklen Schlafzimmer, ich fühle mich gehetzt von der Musik, als wäre die Musik mein Publikum. Ich glaube, ich habe alles richtig gemacht. Doch was nützt es?
Ich glaube auf dxm hat man die Aufgabe, eine Brücke zwischen seiner tiefsten Innenwelt und der äußeren Welt zu bauen. Jedes Mal ein Stückchen daran arbeiten, während du hier bist. Eine Straße, die man nehmen kann, wenn man von einem Zustand in den anderen kommen will. Das ist perfekt ausgedrückt. Möglich, dass das ALLES hier komisch wirkt, aber es ist richtig so. Lass dich darauf ein, akzeptiere die Sprache, den Stil, die Bewegungen. Das hier ist ein erster Brückenpfeiler. Das Buch - ich nehme an wir befinden uns in einer Art drittem Blume-Buch - ist eine Brücke. Wo genau ich gerade schreibe, das weiß ich nicht genau. Ich weiß aber, dass das "das" im vorigen Satz nicht zu meinem Stil passt. Es ist ein Fleck, ein schöner Fleck auf dem Kleid, in das ich Elian gezwungen habe .. oder Demien .. oder wie auch immer. Ich winke besoffen die Fotografen weg, die sich um mich herum in Stellung bringen. - Der Tod ist jedenfalls nichts schlimmes, unser Gehirn ist für die Ewigkeit Nichts gemacht, lüge ich und popel mir in der Nase auf einem Friedhof in der Nähe meiner alten Schule. Ich vergleiche jeden Friedhof mit dem ersten Friedhof, den ich je gesehen habe. Überall das gleiche - so schlimm kann es gar nicht werden... Die Musik überfährt mich-------, aber mir ist nichts schlimmes passiert.


17.5.
Mögliche Nebenwirkungen der DXM an den folgenden Tagen:
die Lust zu lügen, meist nur Kleinigkeiten, die Unfähigkeit die Wahrheit zu sagen ohne mich zu schämen, später aber extreme Scham für die Lüge
extreme Dünnhäutigkeit
die Vermutung dass all meine Freunde wahnsinnig sind und mir gefährlich werden können
kleine Missgeschicke reiben total auf (z.B. wenn ich Dinge nicht finde, oder Dinge runterfallen, oder ich eine Mahnung von meinem Telefon-Anbieter erhalte)
die Lust sich der apokalyptischen Stimmung hinzugeben
die Erkenntnis dass es keine Musik gibt, die mir entspricht, außer die Musik die ich mit Schildi mache
verdrängte Schuldgefühle kommen hoch, will ich mir nicht gefallen lassen, kann nicht schlafen
das Gefühl, der Welt ausgeliefert zu sein
das Gefühl, nichts dagegen tun zu können, dass man permanent missverstanden wird




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