03 Januar 2015

3.1.

Ich habe seit über eine Woche die selben Klamotten an und eben fällt mir auf, dass mein T-Shirt verkehrt herum ist. An meinem Gesicht, das ich dabei mache, kann man meine politische Haltung ablesen.

Ich fühle mich derart zurückgewiesen von all den tollen Leuten die ich kenne, dass ein Interview mit Lubomir Melnik, einem träumerischen Schamanen, der am Klavier mit seiner "kontinuierlichen Musik" mit dem Ur-Einen, Ur-Reinen in Verbindung treten will, ungemein tröstlich ist. Ich verstehe, dass meine Zurückgewiesenheit berechtigt ist und eine Herausforderung, ohne die ich mein Leben richtig anfassen könnte.

Schon der dritte? Was ist gestern passiert? Was hab ich getan? Ich weiß, dass ich am Ersten bei dem Mann mit dem oliven Pullover war. Aber was war gestern? Jetzt fällt es mir ein: ich habe mich vor Youtube vaporisiert und unter anderem Interviews mit Roger Willemsen angeschaut. Ich werde ihm das erste Blume-Buch schicken und fragen ob er Lust hat, sich mit mir zu vaporisieren und einfach nur zu reden. Ich mag ihn wirklich sehr, jemand mit seinem Esprit fehlt mir. Vielleicht widme ich ihm dieses Buch, hoffentlich fühlt er sich eingeladen. Warum sollten Leute sich mit mir treffen wollen? (Darauf läuft ja alles hinaus...) Die üblichen Minderwertigkeitsgefühle und der triviale Schmerz der Einsamkeit. Ich muss mich dafür nicht schämen, aber will mich auch nicht darauf ausruhen. Ich muss jemand SEIN - wenigstens ein interessanter NIEMAND - sonst wird niemand mit mir spielen. Niemand will einsam sein, deshalb will jeder eine Funktion haben, jeder will Talent haben, irgendetwas, das ihn unersetzlich macht. Zumindest werde ich nicht genügend Aufmerksamkeit bekommen, wenn ich mich selbst als jemand darstelle, der nicht gebraucht werden will oder der davon überzeugt ist, dass er nichts zu tun hat in dieser Welt.... Ich verbinde mich wieder mit THC und erschreibe mir wie jeden Tag einen Platz, einen Sinn...eine ultimative Gelegenheit zu Stolpern ...

Ich möchte mich in die Welt einbringen so wie schon jedes Kind eine Funktion in der Klasse und Schule haben will. Die Gesellschaft ist für mich nicht mehr als diese große, unübersichtliche Schule. "Politiker" sind nicht mehr als egoistische Klassensprecher oder Schulsprecher oder Lehrer. Sie sind meist nicht an anderen Menschen, sondern nur an einem sicheren, lukrativen "Job" interessiert, für den sie alles ringsherum benutzen oder fallen lassen. Sie sind träge, unfreundliche, so gut wie null an Kultur interessierte Selbstdarsteller, die sich "im vollsten Dienst an der Sache" verwirklichen. Ihr Geschmack ist sehr eingeschränkt, eine Katastrophe an Biederkeit. Sie spielen eine mittelmäßige Rolle sehr unglaubwürdig, aber der Wähler erkennt sich in der Mittelmäßigkeit wieder. Doch schon der Arbeitsalltag, die Mitarbeiter, das Gehalt, die Macht und der Ruhm distanzieren jeden großen Politiker oder Parteifunktionär vom gemeinen Volk. „Doch es kann nicht schaden, den zuversichtlich grinsenden Harmlosigkeiten auf den Wahlplakaten zu glauben, wir sind ja keine Bananenrepublik, die machen auch nur ihren Job, wird schon seine Richtigkeit haben, dass die da oben sind.“ Das Wort Politiker ist irgendwie eine Verharmlosung. Eher Aufseher, Verwalter, Ausführer ...
Sie geben sich rational, sachlich, objektiv, seriös, klar, tatkräftig und moralisch, sie trainieren sich jeden Tag mehr ab von dem, was einen gegenteiligen Anschein erwecken könnte. Niemand, der Macht will, möchte ein Clown oder ein Spinner oder ein Außenseiter sein, er möchte Verantwortung für so viel Leute wie möglich übernehmen, seine Lust, aufzupassen, abzustempeln, den Weg zu zeigen kennt keine Grenzen. Alles was er braucht ist Vertrauen. Wie aber könnte ich einem Politiker vertrauen, der noch nie etwas von Cioran, den Einstürzenden Neubauten, Also Sprach Zarathustra gehört hat? Wie könnte ich mich in meiner Not an jemanden wenden, der nicht weiß, wie sich ein Cannabis-Rausch anfühlt oder ein mörderischer Ekel vor Volksfesten? Nun, es müsste schon um Leben und Tod gehen... Befreundet würde ich niemals mit solchen Leuten sein wollen und deswegen würde ich sie niemals wählen.
Ich würde gern der kalten, feindseligen, lieblosen, sedierenden Rhetorik der Mächtigen etwas gegenüberstellen. Welche politische Funktion hat die Kunst ganz allgemein? Sie setzt der herrschenden Politik etwas entgegen oder hilft, sie zu verfestigen. Jede Moral und Ideologie kann von Kunst (so irrational diese auch wirken mag) unterstützt oder kritisiert werden.
Das Gesicht eines Politikers, seine Stimme, seine Rhetorik... all dies verarbeitet der Wähler unbewusst und wiegt es schwerer als die eigentlichen politischen Aussagen. In diesen unbewussten Prozess der Verarbeitung und Bewertung muss sich die Kunst, das Kabarett, der Feuilleton schalten.

Die Kunst soll sich frei von allen Ideologien machen, das Augenmerk auf Irrationalität und auf Geschmack legen, bloß weg von der sogenannten Rationalität, die mit schafsäugigen Idealen wie "Finanzierbarkeit", "gesunder Menschenverstand" oder gar "Freiheit" die noch unbewiesene Zukunft des Menschen in Geiselhaft nimmt. Die Gesellschaft mag auf Meinungsvielfalt, Haltungsvielfalt, Gefühlsvielfalt beruhen (im idealen Fall, „auf dem Papier“, im Grundgesetz). Der kulturelle Rahmen kann diese Vielfalt durch Abbildung sämtlicher Menschenmöglichkeiten unterstützen oder durch eine streng selektierte Abbildung von Menschenmöglichkeiten verneinen.

Wenn man die Politik verändern will, Gregor Gysi weißt glücklicherweise immer darauf hin, muss man den Zeitgeist verändern, der Zeitgeist ändert sich, wenn sich die Gefühle der Menschen erweitern. Dafür ist die Kunst da. Sie muss als politisches Werkzeug ebenso in Frage kommen wie Wahlprogramme, Kassenstürze, Vereidigungen. (Surreale Gedichte können z.B. eine Pro-Asyl-Demonstration unterstützen.) (Wenn ein Politiker Helene Fischer und Jürgen Drews hört, muss das für ihn noch hundertmal verhängnisvoller sein als die Sexaffäre von Bill Clinton.)
Ich will, dass man die Kunst ernst nimmt: und das kann man nur verlangen, wenn die Kunst sich selbst ernst nimmt und nicht nur einen theatralischen, womöglich sogar bloß selbstironischen Eskapismus abfeiert. Ich möchte mich als Künstler nicht von der Politik abschotten, ich möchte nicht in einem Machtvakuum vor Meinesgleichen herumstrahlen. Ich möchte die Gefühle, das Unbewusste der Menschen anreichern mit neuen Sehnsüchten, Abgründen, instabilen Fragen, instabilen Antworten. Eine skeptische, poetische, zuweilen surreale Politik muss möglich sein, meine verehrten Damen und Herren, liebe Freunde und Gäste.
The Soft Parade. Keine Schönheit ohne Gefahr. Break Up The Family.
Tanzen ist Kommunizieren. Der Körper bastelt sich einen Musikgeschmack zusammen, der ihm entspricht. Jeder Geschmack ist Ausdruck körperlicher Bedürfnisse. Schaut Euch unter diesem Gesichtspunkt die Musik in den Charts an... Was für ein entsetzlicher Sklavenmuzak!
Sowas will ich nicht unterstützen. Und mit dieser Haltung fängt alles an... Jetzt brauch ich nur noch Leute, die diese Haltung haben ... Ich möchte keine Klischees bedienen. Ich will so viel wie möglich von mir preisgeben, damit die Leute ahnen können, was ich sympathisch finde und was ich überhaupt will.
Also, hier bin ich. Schreibt mir einen Brief oder wischt mich aus eurem Leben. Irgendwann werde ich mit Leuten, die mich gefunden haben, zurückkommen.

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