06 Januar 2015

06.-11.01.15

6.1.

Ich weiß gar nicht, wann genau ich das letzte Mal Gras genommen habe. Ich glaube am 2. oder 3. Ich fühle mich sehr munter, heiter, ausgeglichen. Ich hab keine Lust jemanden zu treffen, ich möchte mich noch ein bisschen allein in diesem Jahr umschauen. Auf youtube finde ich einen Vortrag von Christian Rätsch über Schamanismus und Hanf. Ich hoffe es wird nicht esoterisch. In Interviews macht er einen guten Eindruck. In der Talkshow 3nach9 gibt er eine Runde Aphrodisiakum aus. Will er damit zeigen, dass Drogen mehr können als zudröhnen? Oder will er sich an die dümmliche Moderatorin ranmachen? Niemand hat ein ehrliches Interesse an ihm. Die Deutschen haben keine herzliche Drogenkultur. Huch, wünscht er sich echt eine Orgie? Ich finde es furchtbar, dass Sexualität so trivialisiert wird. Aus einer Welt, in der jeder mit jedem schläft, wäre ich schon längst verschwunden. - Der Hanfvortrag ist ganz nett, ich glaube im Publikum sitzen nur steife Hobby-Kiffer, die sich von Christian Rätsch ihr schlechtes Gewissen herausreferieren lassen wollen. Er redet von der alten, anarchistischen, genossenschaftlich organisierten Donauzivilisation, die tausende Jahre vor dem Christentum ganz pazifistisch, „ohne Waffen, nur mit Werkzeugen“ (die Trennung kommt mir willkürlich/idealistisch vor) einen aktiven Schamanismus gelebt hat. Er glaubt, hier die eigentliche Wiege der europäischen Zivilisation auszumachen. Immer wenn jemand den Pazifismus und die absolute Herrschaftslosigkeit hochhält, werde ich ein bisschen unruhig. Er meint das ja alles sehr lieb, und ich glaube unter Seinesgleichen funktioniert das prima und in dem Fall würde ich niemals einen Einwand erheben, aber ich finde nicht, dass er allen Leuten einreden sollte, dass sie in einer anarchistischen Welt glücklicher wären. Ich mag diese Arroganz überhaupt nicht. Ich finde, es gibt von Natur aus sehr viele, feine Unterschiede zwischen den Menschen, nicht jeder hat die Nerven, den Geschmack, die Fähigkeiten und Defizite wie Christian Rätsch. Ich denke, auch in einer Gesellschaft ohne Geld und Herrschaft wird es Hass und Gewalt und Aufstand und Krieg und Tragik und Unglück geben. Es ist falsch, all dies als schlecht, böse oder falsch zu bezeichnen. Der Mensch ist kein nettes Lebewesen, und ich denke nicht, dass daran die Religionen oder die Gesellschaft oder der Kapitalismus schuld sind. Der Mensch ist ein nervöses, unsicheres, zerbrechliches Tier. Ich möchte nicht, dass irgendeine Moral alle Menschen der Erde gleich macht. Damit wird man den feinen, aber wesentlichen Nuancen der menschlichen Natur nicht gerecht. Ich denke, in einer anarchistischen Welt gäbe es mehr Amokläufe, mehr Vergewaltigung, mehr Zerstörung. Der Mensch hat zweifellos viele künstlerische, intellektuelle Fähigkeiten und Anlagen, aber er bleibt ein nervöses, notorisch unzufriedenes Tier. Dafür soll man ihn nicht anklagen. Besser wäre es, wenn es viele verschiedene Gesellschaften gäbe, die alle eine andere Art haben, den Menschen zu verwalten und zu gestalten. Jeder sollte seine Gesellschaft wählen können. Es muss auch möglich sein, sich komplett aus allem herauszuhalten. Es muss auch möglich sein, mit seinen Freunden autark zu leben. Ich bin ja für eine ökologische, antikpitalistische, pluralistische, multikulturelle Gesellschaft, vor allem die Pflanzen, Tiere, die Luft, die Erde, die Flüsse und Meere müssen verteidigt werden gegen die maßlose Gier des Menschen. Wer bekennt sich denn wirklich dazu? Eine Minderheit, auf die es nicht ankommt. Die meisten Menschen interessieren sich nur für ihr kleines, elendes Glück. Ich glaube, man muss die Leute zu ihrem Glück zwingen, sie brutal zwingen, mit dem Quatsch aufzuhören, der sie krank und dumm und herzlos macht. Ich glaube, bestimmte gesellschaftliche Miseren können nur mit Gewalt beseitigt werden. Der Mensch muss wehrhaft bleiben gegen Kapitalisten, dumme Psychopathen und Nihilisten. Dazu braucht er Zähne. Pazifisten erscheinen mir wie erschöpfte, schnippische Snobs. Sobald Leute sagen: „Ich hab die perfekte Lösung für alle Menschen“ wird mir schwindlig – und wenn sie dann auch noch so gemütlich sind und alles pazifistisch „klären“ wollen mit der bösen, grauen, kalten Masse, dann würde ich ihnen gern einen Pflasterstein an die Stirn hauen. Vielleicht hören sie dann auf, die Idee an eine bessere Welt zu benutzen, um ihre Faulheit und Inkonsequenz zu rechtfertigen. All diese Gedanken verderben mir die Lust auf den Vortrag. Bevor ich mich weiter über diese süßen Hippies ärgere, schau ich „GoodFellas“.

Nein, doch keine Lust, aber ich brauche etwas, um mich von meinen nervenden Gedanken abzulenken. Es gibt niemanden, mit dem ich jetzt um kurz nach 5Uhr morgens reden kann. Ich brauche jemanden, der sich mit mir streitet, ich brauche Widerworte, ich brauche jemand der etwas mit meinen Zweifeln anfangen kann. Ich trinke ein bisschen zu viel Koffein und weiß nichts mit der Energie anzufangen, mir kommt jede Ideologie und selbst mein Nörgeln eben lächerlich hinfällig vor. Solang man nicht irgendwie Macht hat, sollte man nicht über den Zustand in der Welt nachdenken. Sowas frustriert nur. Ein Gedanke zum Schluss: Wer an eine Welt ohne Unterdrückung glaubt, hat noch nie Privatfernsehen geschaut. Was würden diese Zombies machen, wenn sie plötzlich frei wären? Wenn sie nicht mehr getreten werden? Sie würden nichts mehr mit sich anfangen können, sie würden komische Ideen bekommen, sie würden sich vielleicht rächen wollen. Tausende Jahre Unterdrückung bekommt man nicht mit einem Joint aus dem Körper. Ich merke, wie ich immer bösartiger werde und schäme mich ein bisschen, es gibt Leute die ich total mag und die sind sehr friedlich und ausgeglichen und glauben an das Gute und ich schätze sie so sehr dafür, mit ganzem Herzen. Ich wäre gern der große Bruder, der ihnen einen Revolver in die Jackentasche steckt. „Man kann nie wissen.“ Bloß nicht zu viel hoffen, bloß nicht irgendwen idealisieren. Die meisten Leute da draußen sind total aufgebracht, sie leiden an ihrer Arbeit, an ihren schlechten, lieblosen Beziehungen, an Reizüberflutung, an einer kalten, steifen, kapitalistischen Politik. Über ein paar süße Pazifisten können sie höchstens verwundert lachen. Für sie kommt eine herrschaftslose, u.a. von Schamanismus geprägte Welt nicht in Frage, sie wollen geschunden werden, sie wollen gehorchen und ihren Frust an andere Leute abreagieren.
Drogen können sicherlich behilflich sein, die Welt anders wahrzunehmen und neue Lösungen für alte Probleme zu finden, aber ich würde es furchtbar finden, wenn Jeder da draußen Drogen, Schamanismus, Kunst und Philosophie benutzt, um sein kleines Elend etwas erträglicher zu machen. Jede Droge, jede Ideologie kann benutzt werden, um Sklaven zu unterhalten. Ich finde, man muss klare Grenzen ziehen, sonst wird alles, was „uns“ helfen kann, von „denen“ ver- und bald entwertet, die uns bekämpfen.
Jetzt ist aber gut. Ich bin einfach total ratlos. Vielleicht versuche ich nur die Sehnsucht nach Liebe mit einer Sehnsucht nach einer Öko-Diktatur zu kurieren. Ich finde es gerade so eklig, dass ich eine Meinung habe. Es ist sicher auch nur ein pathetisches Gemisch aus den antidepressiven Texten, die Nietzsche geschrieben hat und meinem Abscheu vor der deutschen Leitkultur und ihren Protagonisten und Mitläufern. Ihnen zeige ich gern ein kaltes, böses Gesicht. Aber ich möchte mich nicht verrennen. Ich möchte kein liebloses, verkrampftes Häufen Elend werden. Ich sollte mehr unter Menschen gehen, sonst werde ich immer wunderlicher.

Ich finde toll, dass Bob Dylan sich in Songtexten und Interviews nie erklärt, er lässt einfach das sprechen, was er instinktiv gebastelt hat, wie ein Alchemist, der Bilder mit Haltungen und Werten und Gedanken und Fragen mischt und als bunte Perlenketten verkauft. Ihm doch egal, wer sie sich umhängt... Das Video zum Mark-Ronson-Remix von "Most Likely You Go Your Way" bringt das großartig zum Ausdruck: ein herzlich-distanziertes Spiel mit Identitäten. Das ist mir lieber als jedes „So und nicht anders!“ Deshalb bin ich auch am meisten den Künstlern zugeneigt: weil sie sich nicht gezwungen fühlen (müssen), sich klar zu positionieren, weil sie alles, was ihnen möglich ist, ausdrücken können, ob sie davon nun überzeugt sind oder nicht (ich vermute, dass es gar nicht möglich ist, überzeugt zu sein, ohne einen Nervenschaden zu haben). Kein Politiker, kein Bäcker, kein Lehrer, keine Hure, kein Kind ist so frei wie der Künstler. Abgesehen von einem einsamen Wanderer oder einem mächtigen Tyrann. Aber ihre Freiheit hat einen hohen Preis. Der Künstler muss nichtmal diesen Preis bezahlen, zumindest wenn er ein Dach über dem Kopf hat und keinen Hungertod fürchten muss.
Jetzt geht es mir etwas besser. Ich schaue den Vortrag zu Ende. Schon etwas esoterisch, aber wunderbar, dass jemand den grauen, kalten, herz- und kulturlosen Deutschen etwas warmen Wein ins Glas schenkt. Ich muss ja nicht gleich alles unterschreiben. Warum macht jemand wie Christian Rätsch nicht Politik?
Ich habe keine Lust mehr zu schreiben, bin total ausgelaugt vom Koffein. Eine ekelhaft drückende Anspannung. Eingedrückt in Existenz, absolut angeödet vom bunt flimmernden Bildschirm, keine Lust irgendeinen Film anzuschauen, vollkommen konzentriert auf die Anspannung, die mir im Körper klemmt. Irgendeine Hässlichkeit, irgendeine Perversion. Unterdrückter Bewegungsdrang. Ein klebriges, pathologisches Desinteresse an all den Gesichtern und Meinungen, über die ich via Internet verfügen kann. Ich habe Lust das Loch, das mein Körper ist, in irgendein Gesicht zu werfen wie Dartpfeile in eine Wüste. Irgendwie ist diese furchtbar nutzlose Öde verbunden mit meiner Libido. Vielleicht schlafen normale Leute jetzt miteinander?
Vielleicht bin ich gerade total frei. Ich zucke mit den Schultern, indem ich nicht mit den Schultern zucke.


7.1.
Seit heute weiß ich, dass ich bald aus meiner Wohnung raus muss. Ich nehme einen Energy-Drink und laufe euphorisch verwirrt in der Stadt herum. Ich frage Schildi per Sms, ob er nicht Lust hat, mit mir und anderen Leuten irgendwo eine WG zu suchen. Ich hab Lust auf eine bunte kribbelige WG, ohne das WG-Leben zu idealisieren, so sehr, dass ich es nicht schlimm finde, dass ich diesen Satz schon mehrmals geschrieben habe. Ich muss mir ständig klipp und klar machen, was ich will. Ich will mit Leuten, die mir gut tun, zusammen sein und Kunst machen. Ich bekomme ein paar Likes auf Facebook für meinen „Lasst uns eine WG in Leipzig gründen“-Aufruf, aber keine ernstgemeinten Nachrichten. War mir schon klar, musste nur irgendwo hin mit der Euphorie. Ich habe Lust auf Bewegung, aber will auch nicht Schildi zurück- oder Marina im Stich lassen. Die Beiden antworten mir so gut wie nie auf Sms oder Email. Ich sollte vielleicht viel direkter zu ihnen sein und mich von ihrer Schüchternheit nicht allzu sehr beeindrucken lassen, generell bin ich schlecht im Interpretieren von Signalen. Wer weiß, wie oft ich Leute schon angefasst habe ohne dass sie es wollten. Ich hasse diese alten, geilen Männer, die den Mädels auf den Arsch hauen und glauben, charmant zu sein. Lieber hacke ich mir die Hände ab, als versehentlich jemanden zu nerven mit meiner tollpatschig-herzlichen Art. Es beunruhigt mich, wenn sich Leute, die mir viel bedeuten, nicht melden, auf der anderen Seite habe ich auch das Gefühl, nicht gut für sie zu sein. Ich lasse sie lieber in Ruhe stabil werden, aber natürlich vermisse ich sehr die alten Zeiten. Aber ich werde nicht krampfhaft versuchen, alles in den Zustand zu pressen, in den es früher war. Veränderung ist wichtig, unumgänglich sogar.




8.1.
Total aufgeregt. Habe Anne eine Email geschrieben, in der ich sie gefragt habe, ob wir vielleicht eine WG in Leipzig versuchen wollen. Sie zieht ja bald da hin und Max ist auch da. Hoffentlich idealisiert er mich nicht. Ich bin mir unsicher, was Leipzig angeht. Würde doch Schildi und Knarf mitkommen. Ich treffe Frank im Speicher, er versteht meine Euphorie, fühlt sich selbst aber wohl in Erfurt.
Es gab leider Probleme mit der Sparkasse, das Geld für den Druck des ersten Blume-Buchs ist zurückgekommen. Eigentlich wollte ich es meinen Freunden nächste Woche schicken. Und ich habe einen tollen Text über den beschränkten Musikgeschmack der Pegida-Anhänger geschrieben (s. Ende des Abschnitts) und in eine Tondatei genuschelt. Der trifft meinen Nagel auf den Kopf. Hab ihn an Radio Frei und an den SRF geschickt, wo ich schon zwei Mal gespielt wurde. Bisher hab ich keine Reaktionen bekommen, kribbelkrabbel.
Der Gedanke mich für eine WG oder einen Radioplatz oder einen Verlag zu bewerben ist mir total zuwider. Es muss nicht überprüft werden, ob ich dazugehören kann, denn ich gehöre schon dazu, ich falle bloß noch nicht auf. Kann man entscheiden, ob man wichtig ist oder nicht? Ich bin süchtig nach Aufmerksamkeit, nach Likes und so weiter. Wird daran mein Denken, mein Stil kaputt gehen? Naja, egal ob Einsamkeit oder Weltbühne: ALLES hat einen Einfluss.
Biographie eines Ruhmsüchtigen. (Es geht ja am Ende um einen festen Platz in der Welt und eine Funktion.) Ich würde jedem 2. Reporter erklären, dass ich mich nur als Karikatur eines Möchtegern-Künstlers sehe.

„Haves cannot stand have-nots.“ So ist es. :-) Trotzdem: man kann wirklich nicht sagen, dass alle Texte von Morrissey der Rede wert sind, von der Musik (besonders seit 2004) ganz zu schweigen. Sein Ruhm verhindert, dass er selbstkritisch ist. Mir kann sowas nicht passieren, weil ich jetzt diesen Text hier geschrieben habe.

Ich habe jedenfalls nur als Berühmtheit die Chance, die Leute zu finden mit denen ich Kunst machen kann und genau den, mit dem ich alt werden kann - falls ich ihn nicht eh schon gefunden habe. Analog dazu: nur wenn ich in der Klasse den Clown oder Rebell gebe, werde ich jemanden finden, der zu mir passt / zu dem ich passe.

Je euphorischer und selbstsicherer mich meine Hoffnungen machen, desto deutlicher, plausibler, drängender wird mir auch meine Angst vor dem Ende der Welt oder dem Tod meiner Eltern. Ich habe gerade das Gefühl, dass die Angst umso gerechtfertigter wird, je mehr ich von ihr schreibe.

„Viele glauben nicht an sich, weil sie nicht verstehen können, warum sie so talentiert sind“, proste ich mir zu und liste mir ein paar Argumente auf, warum ich ein guter Schriftsteller bin. Jetzt kann ich auch gut einschlafen.



Bevor die aktuellen Ereignisse dem Pegida-Zirkus neuen Auftrieb verleihen, würde ich gern einen neuen Gedanken in den "Diskurs" einbringen (ach hätte ich nur eine Bühne!): "Keiner der Pegida-Leute hat ein ernsthaftes Interesse an türkischer oder iranischer Folk-Musik." - Oder: "Wer von den Pegida-Anhängern interessiert sich für Afrobeat?" - Oder noch weiter: "Pegida-Anhänger haben keinen Musikgeschmack." (Das kann man übrigens nachprüfen, wenn man sich die Like-Listen dieser Spießer auf Facebook anschaut. Die meisten Patrioten hören Schlager und schauen Privatfernsehen und interessieren sich manchmal für Esoterik und Verschwörungs-theorien). - Ich denke - unabhängig von der Formulierung - dass es wichtig ist darauf hinzuweisen, wie limitiert der Geschmack der Konservativen ist. Wenn man wirklich ein ehrliches Interesse an der Kultur der Ausländer hätte, würde man nicht so herzlos argumentieren wie die verbitterten, wiederkäuenden Klartext-Schafe auf der Wahrheits-Alm. Ich denke es ist unmöglich, Folklore aus dem Nahen Osten, aus Afrika oder Südamerika wirklich zu MÖGEN UND gegen Ausländer Stimmung zu machen. Die Deutschen haben also einfach kein Interesse, kein - Verzeihung für die totgenutzte Metapher - HERZ für die Ausländer, und gegen so eine emotionale Beschränkung kommt man mit Argumenten nicht an. Ich behaupte mal - und ich glaube nicht, dass ich mich jetzt wirklich weit aus dem Fenster lehne - daran ist die Bildungspolitik und das einfältige Angebot im Radio und Fernsehen Schuld. - Die Ausländer passen sich immer noch viel zu sehr dem Mainstream des weißen, heterosexuellen, christlichen Mittelstands-Mannes an. Schaut doch mal, was für widerlich weichen, weißen Plastikpop diese ganzen faden Migranten-Popper wie Xavier Naidoo oder Adel Tawil herumstrahlen. Dass Pegida-Anhänger solche Musik routiniert mitschunkeln und abklatschen, kann mich nur noch verkrampft, unansehnlich verkünstelt lachen lassen... Ein Lachen, hinter dem sich eine Kreissäge versteckt, die nur darauf wartet, in die nächste Biedermeier-Fresse zu springen.




8.1. (II)

Schildi hat heute überraschend angerufen, wir haben fast 12 Stunden miteinander verbracht, es war wieder total schön.
Später: The Residents wohnen in meinem Gehirn. Sie sind auf der Suche nach Halluzinationen oder wollen vielleicht sogar mein Weltende auslösen. Gefährliche Musik, ich ahne dass ich sie bald nicht mehr verkrafte, ob mit Gras oder ohne. Aber ich lobe mich auch für meine Sensibilität, indem ich im Bett mit Kopfschmerzen herumgrinse. Ich glaube das Gras hat mich insgesamt gelockert, entkrampft, ich fühle mich herzlicher, viele Dinge sind mir einfach klarer, ich will sie nicht mehr unter den Teppich kehren. Ich habe nicht vor, alle Gedanken und Gefühle hier in die Textdatei zu schreiben. Mein Notizbuch ist mir genug. Zumal der Zwang Sätze zu schrauben meine Euphorie drosselt.
Wenn dieses Jahr entscheidend werden soll/muss, muss sich auch meine Sprache entscheidend ändern. Meine Euphorie muss – ohne diese ekelhafte Hemmung wie nach dem Wort „muss“ jetzt und nach diesem Einschub – einfach fließen, vielleicht durch weniger Reflexionen über mein Schreiben und Denken. Metaebenen trocknen irgendwann den Geist aus.

Man muss mindestens ALLES von einem Schriftsteller lesen, wenn man nur einen Satz von ihm verstehen will. Ich kann jedenfalls für niemanden schreiben, der nicht zumindest Texte kennt, in denen ich mein Schreiben und Atmen kritisch unter die Lupe nehme.


9.1.
Ich schubse meine Nachbarn wie eine Tür zur Seite, ich wohne in einem warmen Haus in dem Freunde tragende Wände sind, alles was ich will und brauche und bin ist hier in meinem Bett, einige Leute verstecken sich unter den Dielen, der Bahnhof befindet sich am Bauchnabel, es macht gut wenn das Koffein wie ein kleines Süßes an meiner Erschöpfung kratzt, diese Le Pen denkt über die Guillotine nach und in einem Traum eben sah ich, wie mich ein bürokratischer Metzger mit investigativem Besteck auf meine Reflexe überprüft, sein Gesicht versucht mir zu sagen, dass alles okay ist und ich nächste Woche nochmal wiederkommen soll, aber ich höre im Rausgehen wie er die Praxishilfe beauftragt, dem Scharfschützen auf dem Dach Feuerbefehl zu geben. Ich tu so, als hätte ich das nicht mitbekommen, aber die beiden wissen, dass ich nur so tu. Es ist ein schöner Frühlingstag, der Scharfschütze steht mit Sonnenbrille auf dem Schuldach und zielt auf mich, ich bin im Gebüsch und weiß nicht, wie gut er ist, wahrscheinlich ist er gut, sonst hätte man ihn nicht eingestellt. Vielleicht soll mich aber auch nur beunruhigen, dass man ihm vertraut, obwohl er gar nicht so gut ist. Er weiß jedenfalls, dass gleich mein Zug in einen nächsten Traumabschnitt abfährt, stell ich mir nur vor dass er schon auf mich schießt oder schießt er wirklich schon auf mich? Plötzlich weckt mich das Koffein wiede auf.
Ich stell mir vor, wie ich den abwesenden Jungen neben mir küsse und versuche „ich lieb dich so“ zu sagen ohne zu klingen wie Leute, die es nicht so meinen wie ich. Ich denke mir, dass man manchmal mit „Ich liebe dich“ und „Ich dich auch“ eigentlich sagt „Wir gehören zu diesem System. Wir funktionieren und wollen funktionieren.“ Das bürgerliche Ideal, das in dem Wort „Liebe“ lungert wie ein fetter, kafkaesker Magnet verwandelt mein Herz in ein Schwert. An wen soll ich mich wenden?
Ich stell mir vor, wie dieser abscheuliche Volker Kauder mit seiner Frau im Bett liegt, ihr einen Kuss gibt und sagt: „Ich liebe dich. Ich bin froh, dass du mir Kinder geschenkt hast. Ich bin der glücklichste Konservative im Land.“ (Hat er gerade gedanklich zu Le Pen geschielt?) --- Konservative können nicht lieben, so wie Primzahlen nicht durch andere Zahlen als 1 und sich selbst teilbar sind. Ein Konservativer mit Herz ist auf dem absteigenden Ast. Konservative sind kalt, rational, bösartig, alt. Sie haben diesem System, in das sie geboren wurden, nichts entgegengesetzt, sie haben einfach mitgemacht und wollen, dass alle Menschen der Welt genau das gleiche machen. Sie sind geborene Beamte, Buchhalter, Petzen, Henker.
Sex ist für sie neben Alkoholsaufen und Geldausgeben und Machtausüben das Einzige, was sie menschlich erscheinen lässt. Sympathien für Konservative sind ebenso bedenklich wie Sympathien für Kannibalen. Instinktiv lehne ich alles ab, was Konservative schätzen. Diese Gegenabhängigkeit ist widerlich, die Konservativen haben mich voll im Griff. Was ihnen Spaß macht, macht mir keinen Spaß, ich will sie aus meinem Leben raus haben, sie machen mich irgendwann depressiv, weil sie mir alles kaputt machen, was mich bei Laune hält. Deshalb kann ich auch sehr gut damit leben, dass Cannabis verboten bleibt.
Ich kommentiere auf Facebook einen geteilten Kommentar eines RTL-Reporters, der die Pegida-Bewegung verteidigt.

Igitt! BÄH! Dieses Ekel suggeriert, wie die meisten Anhänger der Bewegung, dass die Gegner der Pegida-Bewegung gegen Meinungsfreiheit sind... Igitt! Er hat nichts verstanden. Dieser RTL-Mann ist absolut ekelhaft. Ist Ekel denn kein Argument? Die Anhänger von Pegida sind jedenfalls NICHT rational. Was sind denn "unsere deutschen Werte"??? Wer macht diese Werte? Zu welchem Zweck? - Die Gegner der Bewegung holen nicht „die Moralkeule“ raus, weil Pegida "unbequeme" Fragen stellt... Die Leute, die gegen eine Islamisierung auf die Straße gehen, stellen gar keine Fragen, sie machen laut "mimimi" und geben vor, sich unverstanden zu fühlen, wenn man ihnen Fragen stellt ... Es ist natürlich auch ein absolut dummes Vorurteil, dass die "Staatsmedien" irgendwie links sind ... Ekelhaft ... "besorgte Bürger"... wenn ich das immer höre... Es sind nur kleine, engstirnige, engherzige Spießer, die das Gefühl haben, das bisschen Kuchen, das sie für ihren Job bekommen, mit Leuten aus einem anderen Land teilen müssen... Sie wollen ihr bescheidenes Glück nicht mit Menschen teilen, deren Sprache und Religion sie nicht verstehen... Das ist alles, was man über sie sagen kann. Solche Leute würden auch ihren Nachbarn anzeigen, wenn er den reservierten Stellplatz vorm Haus besetzt.... Es sind Schrebergärtner, die sich darüber aufregen, wenn man zu laut Musik hört... NICHT weil es sie selbst stört, sondern weil es sich halt einfach nicht gehört oder weil sie denken, dass Leute, die laute Musik hören, auch unbescholtene Bürger mit Kacke bewerfen würden... Diese ganzen widerlichen Kleingeister haben keine Werte, sondern nur moralische Gefühle, die dieser kalte, bürokratische, kapitalistische Staat ihnen reingetreten hat.... Und solche kalten, kleinen, zynischen Leute nehmen Anschläge von radikalen Muslimen zum Anlass, mal so richtig schön die Faust auf den Stammtisch zu knallen und bald schon faseln sie von mehr Überwachung und Todesstrafe und so weiter... und genau dann sieht man, was diese feigen Schafe unter "deutsche Werte" verstehen.... Ich hasse die alle so sehr. Ich bin froh, dass ich kein Politiker bin und Verständnis für diesen minderbemittelten Pöbel heucheln muss...



11.1.

Gestern hatte ich Besuch von zwei Freunden, laute Musik und Alkohol.  Schön war's. Als wir später zu zweit waren, wurden die Gespräche persönlicher und irgendwie ist es dazu gekommen, dass ich mich soweit in den Gedanken, meine beste Freundin im Stich zu lassen bzw. ihr nicht wirklich helfen zu können, reingesteigert habe, (es war eher ein stumpfes Reinsacken) dass ich geweint habe, zum ersten Mal seit Ewigkeiten vor einem Freund. Wie hat er das geschafft? Ich will das jetzt nicht genau aufschreiben und bleibe lieber etwas lakonisch. Heute fühle ich mich jedenfalls sehr aufgeräumt. Seit weit über einer Woche kein Gras, ich warte immer noch darauf, dass ein Bekannter Bescheid gibt. Weiß nicht, wie das heute mit Gras gewesen wäre, zumindest ein bedeutend besseres Körpergefühl beim Ausklingen des Rausches.
Es war eine schöne Atmosphäre, ich war so ergriffen von dem worüber wir geredet haben, dass ich - obwohl es total warm war - heftig gezittert habe. Kein akademisches Gefasel über existentielle Themen, um sich gegenseitig zu beeindrucken oder die Zeit zu vertreiben, es war viel ernster, persönlicher, notwendiger, es war total schön, ganz offen und ohne Scham zu reden, ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal mit jemandem so intensiv geredet habe und immer wieder kamen Gedanken an den Tod, das ewige Ende, total absurd etwas intensiv zu erleben, wenn man es doch nicht für immer halten kann. Ich habe gespürt, dass er gemerkt hat, dass ich ihn küssen will; klug und süß und charmant wie er ist, hat er das Thema immer auf meine Freundin gelenkt, um mir/uns meine Verlegenheit, Hilflosigkeit zu ersparen, oder ich bin einfach ein schlechter Beobachter.
Insgesamt fühle ich mich nun noch viel mehr mit ihm verbunden, gleich welche Sexualität ihn allgemein oder im Moment bestimmt, richtig schlau bin ich nicht geworden und will es jetzt auch nicht sein, ich schraube alle Fliegeralarm-Sirenen von den Dächern der Stadt und husche schnell wieder in mein Bett. Meine Libido ist nichts im Vergleich zu meinem aufgeregten, drückenden Herzen. „Unerreichbare Liebe gibt mir das höchste Gefühl von Lebendigkeit“, denke ich mir, damit der Leser etwas zum Gurgeln hat und fühle mich unendlich dämlich. Ein schwarzer Brunnen, in den man so tief fällt, dass man oben wieder rauskommt. Ein Fragezeichen verspannt mein Gesicht, ich seh bestimmt grad so aus als würde man mir Stinkekäse unter die Nase halten, aber im tiefsten Inneren bin ich glücklich, d.h. ich genieße die Anspannung, die das Leben bedeutet.
Die Tatsache, dass ich gerade auf Seite 20 meines 2. Blume-Buchs bin, will mir suggerieren, dass mein Leben weitergeht und erzählenswert bleibt. Das muss aber nicht stimmen. - Vielleicht schreibe ich, weil mich der Gedanke, der Glaube an das fertige Buch über Wasser hält. Man ist beim Schreiben derart in der Zukunft, dass man die nervige Gegenwart ertragen will … und kann.
Da ich bald umziehen muss, hab ich keine Lust mehr, aufzuräumen. Gern kann hier alles vermodern. Leider habe ich auch keine Motivation etwas Schönes zu kochen, generell kein Hunger und der Wind draußen ist toll, die Stadt biegt sich und klappert. Extrem warm für Januar. Love is in town.
Könnte mir vorstellen, dass ein Kind Angst vor den Geräuschen hat, die das Haus gerade umgeben. Ich sage mir, dass es keinen rationalen Grund gibt, Angst vor der dunklen, brausenden Welt zu haben, auch wenn das Sausen des Windes Charakter hat, ein erhabenes Gesicht.
Die Tatsache, dass es einen Mund gibt, den ich küssen will, distanziert mich vom Universum. Gemütlich eingepackt in einem wackelnden, heulenden Haus schlafe ich ein.

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Ich weiß nicht, ob ich richtig geschlafen habe, „Ich weiß nicht ob ich mein lautes, ungeduldiges Herz in mir aushalte“, jammere ich fast, aber dann schiebt sich der alte Mann, der ich bin, davor und weiß, dass das Quatsch ist, denn „man hält sowas immer aus und genau das ist die Tragik“ und in diesem Moment knattert ein Hubschrauber über das Haus, der alte weise bittere Mann schaut in die Zimmerdecke, nüchtern, ohne Angst, vielleicht schmeißt Nordkorea oder Russland oder ein Freund von Merkel eine Bombe auf diese Stadt. Der Weltpolitik bin ich genau so hilflos ausgeliefert wie meiner Liebe und meinem Musikgeschmack. - Ich stelle mir vor, wie jemand diese Stelle für ekelhaft pathetisch, tollpatschig-rührselig oder total flach hält, aber was weiß der schon von meiner Erschöpfung.
Der Sturm hat das Haus fest im Griff, es zieht und pfeift und heult, vielleicht platzt gleich ein Fenster oder etwas kracht aufs Haus. Die Leute gehen vorbei als ob nichts wär.
Ich möchte mich nicht emotional von jemandem abhängig machen, den ich nie haben kann, aber es gibt schlimmeres als an seinem Herzweh kaputt zu gehen, immerhin wird von mir erwartet, dass ich mich in dieser Gesellschaft als Arbeiter kaputt mache und vielleicht hat ja irgendeine Koksnase mit Atombomben im Keller bald keine Lust mehr zu leben und leitet den Weltuntergang ein. Vielleicht hab ich es deshalb auch so eilig mit dem Berühmtwerden.

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