13 Januar 2015

13.1. - Das Promethazin



13.1.
Heute hab ich zum ersten Mal seit Tagen das Haus verlassen, um die Überweisung zu wiederholen, diesmal mit meiner Beraterin am Domplatz.
Wieder zuhause und ein totales Fremdheitsgefühl. Ich gehöre doch nirgendwo hin! Dann mir eine große Koffeinbrause aufgemacht, um auf mein Fremdheitsgefühl zu klettern, zum Glück ist Schildi noch vorbeigekommen, er hat mir wieder ein Zugehörigkeitsgefühl gegeben. Dafür sind später meine Käse-Baguette verbrannt, weil ich im Skype-Gespräch mit Knarf die Zeit vergessen habe. Vielleicht sollte ich das als Zeichen nehmen, doch Veganer zu werden. Dann muss ich mich auch nicht mehr schlecht fühlen vor veganen Freunden. Ihre Anerkennung ist mir wichtiger als ein paar Ernährungsgewohnheiten, zumal ich ja auch weiß, wie ungesund Milchprodukte und Fleisch sind, und dass das Leid der Tiere in keinem Verhältnis zum Genuss steht – und dass ich Leute, denen die Natur egal ist, die einfach nur ihren gierigen Bauch stopfen wollen, einfach nur ekelhaft finde. Der Energy-Drink ist echt eine Wucht, er fordert meinen Körper zu Dingen auf, die er unmöglich leisten kann. Ich gehe eine Stunde im Park spazieren. Ich liebe es, allein im Dunkeln irgendwo herumzulaufen. Ich rede mit Freunden, die nicht da sind, ich fühl mich sehr lebendig und glücklich.




13.1. (9.30Uhr)

Habe eben 200g Promethazin genascht, um die 700ml Energie-Pisse zu relativieren. Alex sagt, dass ich zwei Tage durchschlafe.
Bisher bin ich nur ein bisschen benebelt. Bald - totales Versacken in den Moment. Anflug von Endzeitstimmung (im Herzen, nicht im Bauch). - Die Welt wird an einem Übermaß an Verwirrung, an einem Zuviel an Möglichkeiten zugrunde gehen.
Ich würde gern in etwa 30 Stunden wieder aufwachen, will mal wissen wie es ist so lange weg zu sein.
Falls das hier meine letzten Aufzeichnungen sind... Ich habe den Büchern, die ich gemacht habe, nichts hinzuzufügen. „Entspannt Euch alle mal!“ wäre meine letzte Bitte an die Welt (- von persönlichen Nachrichten an Familie und Freunde mal abgesehen).
Vielleicht hat ein Land, das dem toten, kalten, lustlosen Blick von Angela Merkel vertraut, den Untergang verdient. Eine Welt voll liebloser Musik, total angespannt, vergiftet von Glaubenswut, von erniedrigenden Standards … was soll man dem überhaupt entgegensetzen?
Ich glaube nicht, dass es so einfach ist, auf seinem Sterbebett ehrlich zu sein. Selbst im Angesicht des Todes ist man nicht frei von Idealismus. Der Wunsch, so und so in Erinnerung bleiben zu wollen, und die allgemeine Unfähigkeit genau zu wissen, was man denkt, was man fühlt („eindeutig“ denkt, „eindeutig“ fühlt...), zwingt auch in den letzten Momenten des Lebens zu Ungenauigkeit, Vergröberung, Mehrdeutigkeit, Verschleierung, Lügen... Nicht zu vergessen die unsterbliche Scham, die bösartige, irrationale Reue, die Anmaßung desjenigen, der sich allem für immer entzieht ...
Einem Sterbenden sollte man daher nicht mehr vertrauen als einem, der noch mit Saft und Kraft im Leben herumirrt...
Die Bewegungen werden langsamer, der Lust reglos zu bleiben ist immer weniger entgegenzusetzen,
und draußen zwitschern die Vögel, es scheint die Sonne, es saust der Wind und Autos fahren irgendwohin, Menschen leben wie selbstverständlich diesen Tag... „Jetzt hat ein neuer Tag begonnen, also machen wir weiter. Wir müssen das tun, wir müssen leben, weil wir noch können.“ Sie tun so, als hätte es keine Unterbrechung (keinen Schlaf) gegeben. Sie haben irgendwas mit ihrem Leben vor, sie wollen sich weiter mahlen lassen, sie wollen weiter müder und älter werden, sie stecken in irgendeinem Automatismus fest, sie fühlen sich geliebt, gebraucht, oder denken einfach nicht nach...
Dass man existiert ist sowas Seltsames, dass man sich schuldig fühlt. Hier dockt jede Religion und Politik an.

Manchmal versaut der Drang, ein gutes Ende zu schreiben, den ganzen Text. Dabei muss man sich einfach eingestehen, dass kein Schluss vollständig zufrieden macht. Jedes Ende ist irgendwie S/scheiße. Das Finale ist das eklige Verdauungsendprodukt des Textes. Oder: der letzte Satz ist alles was zählt...

Mein Atem pumpt mein Gehirn wie eine Luftpumpe mit Promethazin auf. Dass die Dopplung von „pump“ objektiv weder gut noch schlecht ist, dass es total egal ist, weil es nur Stil und nicht Inhalt ist (und der Inhalt ist alles, womit ich zu tun haben will, den Feinschliff können Leute machen, die sich dafür hergeben wollen), dass es eigentlich auch egal ist, ob ich schreibe oder nicht, macht die Rückseite meines Gesichts immer weicher, die Weichheit drückt mich runter an den Nullpunkt des Augenblicks...

.... in der Tiefe kann sich alles lösen ....


(22:13 Uhr)
… und ich habe 12 Stunden durchgeschlafen. Es ist toll zu wissen, dass ich an der Geschichte dieses Tages nicht teilgenommen habe. Ich bin heute nicht gealtert.
Die nächsten Stunden fühle ich mich sehr schwer und weich und unantastbar, ich genieße die Einsamkeit in meinem kleinen Raum.
Ich freue mich total darauf, mit Schildi Gras zu nehmen und Musik zu hören. Diese Vorfreude stabilisiert all meine Ambivalenz, also es ist das Einzige was ich jetzt wirklich aussagen kann. Es ist toll so frei von anderen Gedanken als diesem zu sein.


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