05 September 2015

DXM (halbwegs gescheitert)

Ich sitze in einer leeren Kneipe, trinke mein erstes Bier dieses Jahres, es wird Frühling und ich lese den Brief, den ich an mich selbst geschrieben habe, um mich zu beruhigen, wenn mich ein von Cannabis und DXM hervorgerufener Panikschub aus dem Konzept bringen will. Es ist schließlich wichtig, erstmal anzukommen: "Es ist nicht schlimm, sich ab und an vom Ich zu entfernen. Es gibt eine Zukunft, in der du wieder bei dir bist. Dort ist kein Ziel nötig oder eine Aufgabe, es reicht die Lust an den Sinnen auszukosten. Ekstatisches Bewusstseins-Fleisch. Hier gibt es Gegenstände die nützlich sind, um das Leben angenehmer zu machen. Der Ernst der Existenz geht nie weiter als ein fröhlicher Popsong aus den 70ern. Get right back to where we started from. Die Verkrampften entkrampfen sich und bekommen Lust auf eine dramatische Veränderung der politischen Verhältnisse. Generalentspannung entfacht Phantasie. Es ist nicht lächerlich, sich eine bessere Gesellschaft zu wünschen und alles dafür zu tun, dass eine Veränderung möglich ist. "So wie das Meer ist das Leben, ewige Ebbe und Flut ... Du musst entscheiden wie du leben willst, nur darauf kommt es an!", Hildegard Knef verbeugt sich und stolpert elegant von der Bühne. Ich bestelle noch ein Bier und versuche, eine Weile an nichts zu denken. Unmöglich. Ich bin gezwungen, an mein Leben zu denken.

Die Bedingungen haben sich weiter verschärft: eine neue Wohnung, widerliche Mitbewohner, die stinken nach nassen Pferden und rotzen auf den Boden und essen immer den selben Fastfood-Shit und ich hab zu wenig geschlafen, deshalb freue ich mich, heute an Gras gekommen zu sein und wie Anfang des Monats zwei Packungen Silomat-Hustenstiller. Ich zögere etwas und glaube, erst etwas Interessantes mit meinen Möglichkeiten zu machen, wenn ich das Zögern überwinde mit Gedanken wie "Das schlimmste was passieren kann ist..." Ich weiß nicht wie der Satz weitergeht. Deshalb muss ich einfach weitergehen. Das schlimmst, was passieren kann, ist....

Zuhause angekommen. 23:40 Uhr. Alle 24 Kapseln sind in den Magen gefahren zu "Love makes me do foolish things" von Martha Reeves. Insgesamt 12 Euro bezahlt, wie für eine Zugfahrt nach Weimar und zurück. Jeder Ausflug ist anders, und auf manchen scheint man einen derartigen Skandal aufzudecken, dass die ganze, zumindest westliche Zivilisation ins Stocken geraten würde, wenn sie die gleiche Erfahrung mit der Droge machen und ihre Konsequenzen daraus ziehen würde. Der erste Skandal, an den ich mich überhaupt erinnern kann, war für mich der Tod. Für einen anderen Skandal hatte ich schon lang die Augen offen: den Skandal des Ichs, das ein noch viel großeres Geheimnis ist. Behauptung abgeschlossen. Irgendwie stehen diese beiden Skandale in Zusammenhang. Vielleicht komm ich heute Nacht weiter. Puh, ein bisschen schlecht ist mir. Hatte die letzten 8 Kapseln aufgebrochen und in Wasser gelöst, absolut widerwärtig, vielleicht kotze ich meinen Fahrschein wieder raus. Bäh! Ich esse etwas Ingwer. Oder auch nicht. Ich freu mich so auf den schwitzig-schmierigen Skandal, den ich im hitzigen Höhepunkt des Rausches erfahre.

Mein Bewusstsein ist ein neurochemischer Eintopf. Ich werde matter und der Blick verschwimmt. Wird mein Herz auch diesmal diese Anstrengung mitmachen? Ich fühle mich so als würde ich nicht mitkriegen, wie ich auf einem Motorrad mit 60 Sachen einen steilen Berg herunterrase. Wie werde ich das Kotzen gleich feiern! Es wird immer wärmer und ich hab die klare Vorstellung, dass Leute in mir fröhlich schreien und mich erheben über den alltäglichen, glanzlosen Unsinn und ich sage mir, dass ich keinen Fehler gemacht habe. Es fühlt sich so an ,als würden mir alle Leute eine Frage stellen, als wäre ich im absoluten Zentrum des Geschehens, als müsste ich mich permanent rechtfertigen. Ich höre nicht alles von der Musik, die im Hintergrund läuft. Bestimmte Instrumente sind einfach weg, der Song ist viel geräumiger, ich höre ihn mir von unten an, ich steige in ihm herum, das hier ist ein ernstes Lied, alle Musik ist ernst und heiter. Sollte es zumindest sein, hier wird die Stimmung jedenfalls sehr düster plötzlich. Was bedeutet es, wenn mich jemand ernst anschaut? Hat er ein Recht auf mich? Muss er mich nicht für meine Ratlosigkeit bedauern?

Ich beobachte Kotzefühl. Was noch? Ich kotze langsam in die Teekanne. Die Mitbewohner leben viel zu nah. Wer bin ich? Was mach ich mit meinem Leben? Was fang ich mit mir an? Die Fragen zerren mich nach oben. Die Musik ist absolut ernst und lieblos, ein gespenstischer Druck, ich fühle mich extrem bedroht und glaube, dass ich gleich auffliege, ich werde gleich für immer in eine furchtbare Hölle geschickt. Himmel und Hölle sind in uns - nach all den Jahrtausenden der Suche haben wir sie gefunden. Wofür werde ich bestraft? Ich lebe unter den Blicken der Mutter, die so kalt sind, dass ich weinen könnte. Kann man so sehr der Liebe entbehren, dass man glaubt, gleich zu sterben? Wer hätte gedacht, dass es so gefährlich sein kann. Meine Hände kommen mir so klein vor plötzlich, ganz kleine, schmierige Hände, ich stelle mir vor wie mich meine Mutter vorwurfsvoll, enttäuscht, böse anschaut. Sie will mich erschlagen. Weil ich unfähig bin, etwas mit der Materie hier zu machen, in die ich gestürzt bin. Was ich in mein Gehirn tue ist eine öffentliche Frage scheinbar, etwas sagt mir, dass andere Menschen über mich verfügen. 
Ich höre so viel Düsternis und Feindschaft und Vorwürfe aus den Liedern. als würden sie bitter sarkastisch sagen wollen: "Du hast es jetzt endgültig übertrieben, du weißt was jetzt kommt, du bist nicht mehr zu retten. du wolltest es ja, du wolltest es ja. Es ist nicht schlimm, du wirst sterben. Das hätte jetzt nicht sein müssen, nimm es mir ruhig übel, dass du mich enttäuschen kannst, du bist wie du weißt, nicht in der Position, zu urteilen. Niemand wird dich jemals lesen. du wirst niemals eine Bedeutung für irgendwen haben."
Etwas Unheimliches bedrängt mich. Immenser Druck im Brustkorb. Ich habe das Gefühl, schonmal gestorben zu sein. Vielleicht wurde ich in einem früheren Leben hingerichtet von einer fetten Henkerin oder dies ist nur wieder eine Metapher für die Kälte der Mutter, liebe Schüler, vergesst nicht, es gibt immer mehrere Ebenen, das ist ja das spannende! Lasst euch anspannen! Es wird gute Noten regnen wie Blumen! Ich geb euch alle ein Eis aus, wenn ihr mir ein bisschen zuhört! Ich bin euer Freund!  Hört Euch zur Einstimmung bitte meinen neuen Song "Der Brandstifter" an!

Was ist das wieder für ein Tag gewesen?
Was ist da wieder über mich drübergefahren?
Was wurde ich wieder abgestempelt!
Was hab ich wieder abgestempelt!

Ich sitze hier und tippe auf bestimmte Buchstaben,
um bestimmte Sätze zu bilden.
Die Schönheit dieses Liedes hat sich's wie ein Keller
unter meinem Zimmer gemütlich gemacht,


Jeder der meine Lieder mag, ist mein Freund.

Es gibt keine richtige Musik,
ich zünde den Dachstuhl der Schule an
und schreibe ein Lied darüber,
ich werde extrem berühmt damit irgendwann

Es gibt keinen idealen Menschen!
Mit deinen Irrtümern und Ekstasen
kannst du machen was du willst,
solang du berühmt wirst irgendwann.

Jeder der meine Lieder mag, ist mein Freund.

Ich will dein Freund sein,

wenn du mich brauchst
jeder braucht irgendwann
einen Brandstifter


Ich interessiere mich plötzlich für Kommunikation. Wie erleben andere Leute ihre Existenz? Und ich meine ganz genau: was macht Euch Spaß? Wie würdet Ihr den Staat verändern? Wie die Mentalität in dieser Stadt beeinflussen?

Das Ich stabilisiert die Wirklichkeit. Das ist vielleicht der Kernsatz all meiner bisherigen Drogen-Erfahrungen. Ohne Ich, das ihm eine bestimmte Außenwelt strukturiert, beschäftigt sich das Gehirn mit anderen Bewusstseins-Ebenen. Das Ich ist ein mögliches Fenster in die Welt. Es verpflichtet uns zu dieser Welt zu stehen. Ich schaue aus dem Fenster in den Hinterhof wie aus meinen Augen in die Außenwelt und frage den Kater, was wir beide mit unserem Leben anfangen wollen. Er kann mir nicht antworten, weil er keine Worte kennt, und deshalb hat er auch keine Werkzeuge, um ein Ich zu produzieren, denn ein Ich ist nichts anderes als ein sprachliches Konstrukt. Das Wort "Ich" suggeriert, dass es ein Ich gibt, aber eigentlich zeigt es bloß auf etwas, das es gar nicht gibt.

Die visuellen Effekte bei geschlossenen Augen (zarte, atmende Teppiche aus rotem, blauem Licht, geometrische Strukturen und Räume) passen sich der Struktur der federleichten Kopfschmerzchen an, die das Gehirn massieren. Sie sind polyrhythmisch; überlagerte Ebenen; grobe und fragile, wässrige Strukturen, die sich auf die Außenwelt übertragen, wenn man die Augen öffnet.

Ich befinde mich in einem weit nach hinten geöffneten Moment, ich bewege mich nicht in der Zeit voran, sondern hinein. Möglicherweise fesselt uns das Gefühl, uns in der Zeit nach vorn zu bewegen, an unser Ich. Das Ich hält sich an Begriffe, während es von der Zeit durch den Raum geschleift wird. Das Ich ist ein Filter, den das Kind aufbauen musste, um mit der Welt, wie sie von der Gesellschaft durch Worte und Termine definiert wird, klar zu kommen. Unsere subjektiv wahre Welt wird von unserem Zeit- und Ichgefühl entworfen. Das ständige Erwarten und Berechnen und Voraussehen und nicht zuletzt alle gesellschaftliche Notwendigkeiten verhindern, dass wir uns im Moment verlieren, wortwörtlich: wir verlieren unser Ich, wenn wir nicht mehr aus einer bestimmten Vergangenheit in eine bestimmte Zukunft vorzustoßen meinen. Wenn uns das Gedächtnis an diese, an alle Begriffe abhanden kommt, verlieren wir mit ihnen die Anziehungskraft, die uns an die übliche Realität bindet. Das ist so schwer zu glauben, weil es so schwer ist, sein Ichgefühl loszulassen und das Gespürs für das zu verlieren, was richtig und falsch ist.



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