23 September 2015

23.9. - Diese Stadt gehört niemandem!

(1)

Das Leben findet nur hinter deiner Haut statt, in deinem Körper. Alles findet dort statt. Die Außenwelt regt es nur ein bisschen an. Dein Leben ist nicht da draußen... Ziehe die Konsequenzen daraus und übertreibe sie. Mittlerweile macht alles nur noch Sinn, wenn es übertrieben ist. Eine surrealistische Drüse lässt Stachelschwein-Stallgeruch entweichen. Du legst dich auf eine weiche Wiese und lässt alles vorbeigleiten. Du willst nicht weiterlesen, du willst nicht überlegen, wer ich bin und wer du bist, du spürst eine sanfte, kribbelnde Lust, alles fahren zu lassen, alles zurückzuweisen. Einfach dasitzen im Leben. Das Leben ist nur ein Zwischenzustanden zwischen zwei zwitschernden Nichtse. Beide Nichtse sind verbunden. Du weißt wovon. Ich kann mich einfach nicht entspannen... Warum weine ich nicht deswegen? Egal, erstmal ballanciere ich während eines schönen, ruhigen Sonnenuntergangs auf den Ziegelhäusern ringsherum zwischen Euphorie und Panik. Mein Gehirn weiß nicht, wie es diese Situation bewerten soll. Es schüttet Panik aus, obwohl sie nicht angebracht ist. Auf diese Weise werden neue Verbindungen geknüpft. So entsteht Paranoia. Falsche Verknüpfung von Gefühlen. Der Paranoiker ordnet Alarmgefühle Ereignissen zu, die keiner Alarmbereitschaft bedürfen, während der Verstand aber nach Gründen sucht, wie sonst auch der Verstand die Gefühle kontrolliert. So ist die Möglichkeit, einen Herzinfarkt zu bekommen, plötzlich Grund das Gesicht panisch zu verziehen.

Ich weiß nicht, ob ich noch zu weich bin. Wer werde ich sein, wenn ich härter geworden bin? An welchen Sprachduktus soll ich mich anpassen? Welches Leben soll ich führen, um ein Autor zu werden, der gern gelesen wird? Ich möchte diese Fragen ergründen, ich glaub ich bin da auf etwas gestoßen. Es muss immer weiter herunterpurzeln, die Wirklichkeit muss sich immer mehr zusammenziehen, ich möchte aber mit meinen Worten immer so nah wie möglich sein, natürlich mit all der unüberbrückbaren Distanz zwischen beiden. Es ist gar nicht möglich, die Wirklichkeit mit Worten zu erfassen, weil Worte immer nur von Dingen reden können, die Worte bezeichnen können. Es reicht, wenn ich ein Bildungsbürger-Clown bin.

Wer bin ich, wenn ich in einer Krise stecke? Das ganze Ich ist die Krise dieses Organismuses, der seine Wünsche so schriftlich wie möglich erfüllen will. Du willst dich schon seit Wochen, seit Monaten hier lösen, .. abspringen!

Eben herausgefunden: wenn man bekifft ist, nimmt man die Leute so wahr, wie man sie wahrnimmt, als wenn man mit ihnen chatten würde. Jeder schreibt ja anders als er redet. Wenn man bekifft ist, nimmt man das Geredete der Leute so wahr als hätten sie es geschrieben.

Der Thrill is gone. Die Fröhlichkeit ist gegenstandslos geworden. Dieser Gegenstand hier kann unmöglich Grund der Fröhlichkeit sein. Man sollte nicht euphorisch in die Leere stürzen, ... bekifft in einem Jammertal sitzen und nicht wissen wohin, die Tatsache, dass die Zukunft noch nicht existiert, lässt mich erzittern. Wir bewegen uns auf ein Nichts zu. Mit unseren Häusern und unserer Musik und all dem zivilisatorischen Zeug gestalten wir nur diese paar Jahrzehnte Bewusstsein. Man kann so viel mehr aus der Materie machen. Wenn die Menschen nichts mehr glauben, können sie das Leben komplett umkrempeln.


(2)

Die Musik treibt mich an ihre Grenzen, sie will mich umstürzen, und ich schaue mit dem ekligsten, grusligsten aller Gesichter in den Raum und zucke nichtmal mit den Armen. Vor der Musik werde ich immer ein Heuchler bleiben. der Musik der Musik der Musik. Na entspann dich erstmal. Und benutze dein Schreiben, um deinen Weg vorzuzeichnen. Ach!

Es gibt nichts zu tun. Ich werde aggressiver. Ich habe Lust, etwas ganz und gar böses zu tun. Es fühlt sich so an, als könnte nur noch eine ultimative Grenzüberschreitung mein Herz über seine Trockenheit hinwegtrösten. Ich gehe mit einem Edding spazieren und schreibe den Erfurtern gute Botschaften in den Weg. Niemand sieht mich.
An einen Altpapier-Container schreibe ich "Selbstmord ist die beste Therapie.". An einen Schickimicki-Holzzaun schreibe ich "Verzweiflung ist die beste Medizin." An eine Litfaßsäule schreibe ich "Leiden ist besser als überhaupt nichts mehr mitzubekommen. Je älter man wird, desto weniger versteht man das.". An den Briefkasten einer Pizzeria schreibe ich "Liebe ist wichtiger als Arbeit." An ein Altenheim schreibe ich: "Nicht jeder hat es geschafft, rechtzeitig zu sterben. Leider." Auf eine Parkbank schreibe ich: "Jede Überzeugung ist eine Kette." An eine weiter Litfaßsäule schreibe ich "Du weißt, was dir fehlt." An das Geländer einer ganz im Schatten verborgenen Brücke schreibe ich: "Diese Stadt ist so traurig. Warum willst du dazugehören?" und "Die meisten Menschen müssen mal ein paar Jahre so richtig entspannen." Plötzlich kommt mir jemand mit Hund entgegen, zum Glück kann er mich so wenig erkennen wie ich ihn. Da wir keine Ahnung haben, wer der Andere ist, bleibt die Begegnung ohne weitere Folgen. An ein altes, vermutlich verlassenes Haus schreibe ich: "Lerne, ein Verlier zu sein." An den Infokasten einer Schule schreibe ich: "Poesie gehört nicht in Bücher, sondern auf die Straße." Auf eine weitere Schublade, ich meine Litfaßsäule schreibe ich "Das geht alles auch ganz anders." Auf einen Stromkasten schreibe ich: "Ausländer rein!" Das will ich nicht unterbieten, sage ich mir und laufe durch die halbe Stadt nach hause. Vielleicht sollte ich ein Blog machen über meine Arbeit als anonymer Edding-Dichter. Heutzutage muss sich Poesie aufdrängeln. Philosophie muss stören. Beides muss vom akademischen und alltagsfernen Nimbus befreit werden. Einfache, gute Sätze im öffentlichen Raum. Wie kann eine Stadt das verbieten? Ich habe nicht genug Lust oder Mut, auf eine hell beleuchtete Biotonne zu schreiben: "Diese Stadt gehört niemandem!" oder auf ein Auto "Dieses Auto gehört dir nicht, also heul nicht rum!" oder auf ein Schaufenster "Das Wochenende ist Opium für das Volk." oder "Achtung! Das Wochenende ist eine Falle!" oder "Was der Arbeitswahn trennt, kann kein Wochenende wieder zusammenbringen.", jetzt ist es zu spät, ich bin jetzt wieder zuhause. Ich schau nach wieviel es kostet, Aufkleber mit guten Sätzen zu drucken. Ich brauche mehr Geld. Oder ich verbrate das Geld, das mir das Jobcenter gegeben hat, um meine Schulden bei den Stadtwerken zu begleichen. Ich habe gerade das Gefühl, einen Fehler zu begehen, indem ich so offen über alles schreibe. Wie auch immer, ich muss unbedingt in den Literaturbetrieb, sonst versinke ich wirklich in der Leere, die den Krater verdaut, den meine Unzugehörigkeit in den Lauf der Dinge geschlagen hat. Ich stehe am Rand des Tages, in einer heiteren Ecke des Tages, Zeit resümee zu ziehen, aber stattdessen einfach nur luftholen wollen und spüren, wie die Musik den Körper wegträgt, während der Körper die Musik wegträgt und wenn einer der Beiden stolpert, stürzt er in den Anderen. Noch läuft alles wie geschmiert. Noch sitzt er im Sattel, noch glaubt er an einen Beruf, noch glaubt er sich gänzlich im gesetzlichen Rahmen bewegen zu können. Wie lang wird diese Vorgeschichte noch gehen? Der Gedanke, niemals eine Bedeutung für irgendwen zu haben und einfach zu verschwinden, bohrt ein Loch nach dem Anderen in die Brücke, die ganz aus Worten besteht und mich über das Gähnen meiner Existenz geleitet. Vielleicht bin ich hier unten wirklich allein.

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