11 Oktober 2015

12.10. - Ein sanfter Knick

I
Ein sanfter Knick.

Die Gleichgültigkeit, die Demotivation ist keine unerwünschte Nebenwirkung. Es geht ja um das Recht, Brüche zu machen, das Recht auf den Boden zu spucken, das Recht sich herauszunehmen aus dieser Parallelwelt, die diese Wirtschaftsordnung erschafft.

Wenn die Leute warnen: "Gras bringt dich auf die schiefe Spur.", kann ich nur werben: "Gras bringt dich auf die schiefe Spur!" - Es ist durchaus richtig und wünschenswert, auf die schiefe Spur zu kommen. Es ist völlig ok, wenn deine Noten schlechter werden. Wenn du dich für immer weniger interessierst: so gelangst du zum Wesentlichen, und erst von dort aus kannst du dich zu dir selbst aufraffen. Und wenn du nur noch im Rausch funktionierst, dann ist das kein Grund zur Besorgnis. Du bist zu einem komischen Schamanen geworden und beginnst gleich allen komischen Schamanen zu denen zu reden, die wie du berauscht sind.

"Ich weiß nicht, wie du dir das alles vorstellst!", zittert meine Mutter mit bösem Blick. "Ich stell es mir einfach nicht vor...", gähne ich und freu mich darauf, dass Schildi dann noch kommt. Er ist ein großartiges Ruhekissen im Zentrum dieses Herbstes. Die Idee vom Recht auf Rausch ist sehr subversiv, das mag ich. Was bedeutet es für den Staat, wenn dem Menschen überlassen bleibt, wann sie von einem Bewusstseinszustand in den anderen wechseln. Es ist völlig ok, wenn du weniger leisten kannst... Komm einfach zur Ruhe, zieh dich aus dem Zeitstrom heraus, in dem all diese kalten Begriffe und Ideale dich durch die Wassermühlen der staatlichen Institutionen jagen. Verneige dich und tritt beiseite, nimm die Kopfhörer ab, unter denen du bisher an der Wirklichkeit teilgenommen hast, setz dir eine Sonnenbrille auf und schau den Menschen bei der Arbeit zu, entspanne deinen Körper, besonders dein Gehirn. Niemand ist auf dich angewiesen! Lehn dich zurück, erfülle dich mit der Brutalität einer kosmischen Sanftheit, am warmen, elektrisch geladenen Rand des Körpers angekommen. Der Text schwebt über dem Nichts, da ich ihn noch nicht gespeichert habe. Vielleicht fliegt der Computer gleich wieder aus.

Ich bin so sehr mit meinem Computer, meinem Handy und dem in ihnen flirrenden Geist, dem Internet verbunden, dass sich mein Bewusstsein langsam an die Struktur dieser Technik anpasst. Und genau das ist es, was die Mächtigen wollen. Die Religionen haben versagt, kein Weltbild hat sich als vollkommen erwiesen. Um die Masse zu kontrollieren, hat man nun das Internet und die Technik zur Verfügung. Bald wird das Internet für alle Menschen lebensnotwendig - bald verschwindet die Menschheit aus dem Staat und transferiert sich in die Technik, die viel besser auszuführen und zu kontrollieren ist als staatliche Gesetze. Man muss die technische Entwicklung sofort aussetzen und sich ein paar machtgeile Philosophen zu Rate ziehen, die über das Wohin reden. Die Europäischen Werte haben ihren Reiz verloren, als die Mächtigen auf sie getreten sind. Uns blassen Kindern dieses neuen Jahrtausends bleibt nichts anders übrig, als dieses ultrakapitalistische Elternhaus zu verlassen. Indem wir im Garten liegen, Haschisch rauchen und in den Himmel starren, verlieren wir unser Gesicht und unsere Bestimmung. Wir haben uns herausgerissen! Jetzt erscheint das Leben wie ein echter Raum, ein echtes Außerhalb. Es hängt so schön schief, das kann nicht falsch sein. Plötzlich die helle, warme Vision: die Lust am Nichtstun, an der Enthaltung, dem Rausch wach und lebendig halten mit meinem Schreiben, Vorurteile und Ideologie abbauen mit warmem, gemütlichem Chaos oder kalten, scharfen Aussagesätzen, der Lust an langsamer Bewegung, als sollte die Musik das Leben umtapezieren, allem eine neue Richtung geben. Ein sanfter Knick.


II
Volle, dichte, klare Musik
schäumend, golden, flimmernd
ein schaufelnder, rumpelnder Beat
ein stechender, brodelnder Bass
warme, gemütliche Bläser
schwankend-schummrige Bläser
lächerlich klagende Streicher
versöhnlich strenge Streicher

und leg dich zur Ruhe
und morgen wieder im Stechschritt
und pflücke dir ein blaues Herz
und einschneidende Entspannung

und der Zug fährt wie ein riesiges Kopfkissen in die Bahnhofshalle
und wie Läuse springen die Leute durch die ganze Wohnung
auf der Suche nach Kontakten und Vergesslichkeit

das Koffein möchte meine Metaphern hart
das Gras möchte meine Metaphern weich
die Verliebtheit möchte meine Metaphern blumig
die Erschöpfung will meine Metaphern bordsteinern
die Musik möchte meine Metapern geschwiegen
die Sprache möchte meine Metaphern geschrien
die Kritiker möchten meine Metaphern wie nochmal?
die Leser möchten auch noch was für ihr Geld...
deshalb ist es mir unmöglich, mich frei zu fühlen. Ihr könnt von einem Menschen, der frei sein darf, nicht erwarten, dass er mit euch kommunizieren kann. Die Zwänge, die wir den Menschen auferlegen, sollen davon ablenken, dass wir sie nicht erreichen können - und in den allermeisten Fällen müssen wir die anderen Menschen auch nicht erreichen. Wir können Netzwerke bilden, wo es sinnvoll ist, müssen uns aber nicht zu einer Einheit, einer Wesenheit vernetzen. Deswegen sehe ich es nicht ein, hier so zu tun als wäre ich ein guter, lesenswerter Schriftsteller... Was hab ich mit Eurem Gut, Euren Werten zu schaffen? Vielleicht sollte ich einfach in See stechen... aus Mangel an einem noch viel geeigneterem Auge. Oder ihr lasst mich einfach mit dem weitermachen, was ich tue, ohne es zu hinterfragen. Erst dann kann ich aufhören, es zu hinterfragen, erst dann komm ich voran. Ich scheitere an meinem Bewusstsein, während des Schreibens indirekt beobachtet zu werden. Wer ist das, der dies gerade liest. Was hat er mit mir zu schaffen? - Ich stehe also immer noch bei einer der ersten Fragen: an wen kann ich mich wenden? Habe ich überhaupt die Mittel, um gehört zu werden? Ähmn... und was hab ich gleich zu sagen? Ist es denn mehr als ein: "Liebe Mitmenschen, hiermit stellt dieser Organismus seine Ego-Funktion ein. Hiermit weigere ich mich, meinen Charakter auszuspielen, ich weigere mich mein Leben in jener Rolle zu führen, in die ihr mich lenktet und bewahrt. Niemand kann verhindern, dass er Andere idealisiert, berechnet, typisiert. Es ist ein automatischer Kategorisierungs-Vorgang. So wird eine Ordnung der Welt erdichtet. Niemand ist gezwungen, diese Ordnung des Bewusstseins zu akzeptieren. Es geht schlicht und ergreifend darum, den Wahnsinn, die Kopflosigkeit, die Weltenthobenheit, die Hängematte als echte, lebenswerte Alternative zu erkennen. Eine radikale Verwirklichung des sanften Knicks.

III
Ich ermurkse.

Je fester sich die Schlinge zieht, desto näher rückt die Hohlheit meiner Aufgewühltheit an die Wahrheit ran. Ich muss meinen Beruf endlich ernst genug nehmen, dass ich mich motivieren kann, jeden Tag produktiv zu sein und nicht nur in die vakuumne Phantasiewelt, die ich anpreise, zu versinken. Vielleicht bin ich tatsächlich eine Art Journalist, mit einem viel zu heißen Kopf, viel zu ausgetrockneten Lungen, unfähig den Drahtseilakt meines Körpers zu tragen. In einer munteren Stunde ist alles geordnet, dann habe ich eine Bibel über den eingezäunten, an sanften Fieberträumen hängenden Garten in meinem Gehirn geschrieben. Man kann sich schreibend zersetzen, und schreibend ordnen. Ich tat erst das eine und stehe nun vor dem zweiten: aber warum soll ich etwas ordnen, das ich durcheinandergebracht habe, um von mir los zu kommen? Diese düsteren Fragen schmelzen träge an mir vorbei, ich werde nach Beendigung dieses Satzes einen intensiven violetten Film suchen, den ich abspielen kann, irgendetwas was zu Residentsalbum "Tunes Of Two Cities" passt.


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