21 Oktober 2015

22.10. Erfurter Herbst

Haschisch macht nur Sinn, wenn man die Dosis immer mehr steigert. Vielleicht macht ja alles nur Sinn, wenn man es immerzu übertreibt. Wenn man arbeitslos ist wie ich, kann man sich endlich mal ausgiebig mit seinem Körper, besonders seinem Bewusstsein beschäftigen. Hier unten gibt es so viel zu erfahren, es wird dich wirklich verändern. Also, wenn du unzufrieden mit deinem Leben bist, bleib stehen, schließ dich ein paar Jahre irgendwo ein, nimm Drogen, mach Musik und Liebe und bunte Fensterbildchen, feiere mit deinen Freunden das sinnlos-kuschelige Leben. Die Möglichkeit ist gegeben und du tust es nicht. Es hat Gründe, warum du es nicht tust. Mehr will ich in diesem ersten Absatz glaub ich gar nicht sagen. ;-)

Ich habe mich heute den ganzen Tag mit Politik und der Stimmung auf der Straße befasst. Es ist wirklich dunkler geworden, die Frustrierten und Nutzlosen sind irgendwie stolz auf ihr materielles Elend, wo sie doch Deutsche sind und eben ein Anrecht darauf haben, dass es innerhalb der nationalen Grenze noch Leute gibt, die schlimmer dran sind, auf deren Rücken sich der eigene Jammer viel besser rüberbringen lässt... Das Volk erhebt sich - und im Schatten sitzen wir Bleichgesichter und warten, bis es brennt, um dann zu weinen. Aber ich hoffe so sehr, dass sich die Stimmung nicht ernsthaft radikalisiert. Wollen wir uns enthalten? Oder wenigstens mit unserer Unruhe, Langsamkeit, Schwerfälligkeit, Skepsis und Schlaflosigkeit im Weg stehen? Applaus!!

Jeder will irgendwo dazugehören, sagt mein Therapeut, als ich mich nervös-zuckend in der Zukunft verklemmt habe. Kann man denn nicht auch ganz entspannt vor sich hin leben, wenn man nirgends dazugehört? Der Kapitalismus schafft kein Gemeinschafts- und Sinngefühl mehr. Es gibt zu viel Elend, den er angerichtet hat und ja immer noch fleißig anrichtet. Ich bin sanfter geworden mit meinem Ärger, ich ahne wie der Einfluss der Religionen und völkischen Bewegungen steil ansteigen wird - dann werden sich hoffentlich die Künstler erheben! Die meisten Leute im Bürgertum sind nicht durch die Schule Nietzsches gegangen - oh ich wünschte mir eine leidenschaftliche Nietzsche-Renaissance in Deutschland. (Der vielleicht patriotischste Satz, den ich jemals schreiben werde.)

Die Leute haben kaum echte Perspektiven. Ist das denn nicht großartig?

Nun, die Leute können nicht mehr ihre Sehnsucht über ihren Alltag hinaus werfen. Es sind wirklich kleingeistige Menschen, die in kleinen Schachteln denken. Es reicht ihnen ein einfaches Weltbild, um so glücklich zu sein wie sie wollen. Ach, aber sie wollen ja leider so schrecklich wenig. Das wäre mein Hauptanklagepunkt gegen die Konservativen: sie engen mit ihrem Horizont den Horizont der Anderen ein. Wenn du beim Lesen gerade Durst empfindest, hast du den Text so wie ich verstanden. - Die Konservativen definieren eine Art von Glück (welches z.B. entstehen kann - nicht muss-, wenn man eine Familie hat und arbeitet und eventuell einer bestimmten Religion anhängt) als das Höchstmaß an Glück, das man sich leisten darf. Deshalb ist es wichtig, nicht mit sachlichen Argumenten, sondern mit Emotionen, Fragezeichen, Interjektionen, Orgasmen zu reagieren auf die Propaganda der Gestrigen und Vorgestrigen. (Was die Propaganda der Zukünftigen betrifft, nun, da erlaube ich mir einfach nur noch aufgesetzt müde-spöttisch zu grinsen.).

Wer kümmert sich also um all die Elenden, Nutzlosen, Zukunftslosen? All die von der Großen Maschine zu Gespenstern ausgemergelte, suchtkranke Subjekte, von Medikamenten und schlechtem Fraß und einer neoliberalen Metaphernwelt im Hirn auf das Mindestmaß heruntergewirtschaftet. Man muss sie von Grund auf neu bilden. Wie man Flüchtlingen aus islamischen Ländern atheistisch, humanistisch erziehen muss. Ebenso die Deutschen, die noch niemals ein Wir gefunden haben - und mit etwas Glück werden sie es auch niemals finden. Ich sehe - da Religionen und Wirtschaftssysteme und Staatsideologien nun wirklich nicht mehr in Frage kommen für die aufgeklärte, humanistisch erzogene, europäische Generation XYZ, wie auch immer... ich sehe nun die Kunst in der Pflicht, den Menschen eine Identität zu geben. Wie schön wäre es, wenn Deutschland kultivierter wäre. Das wichtigste wird sein, den Menschen den Müßiggang, die Langeweile, die Entsagung schmackhaft zu machen, eine große Diät: wir müssen anfangen, Arbeitslosigkeit zu organisieren. Die Gesellschaft muss auch funktionieren, wenn die meisten sich nicht mehr in die Gemeinschaft einbringen. Die Unterschicht- und vorallem die Mittelschicht.Menschen haben Angst vor ihrer Individualität. Sie sind zu unkultiviert, um sich selbst auszuhalten. Wenn die Menschen aus einem Jahrzehnte-währenden Arbeits- und Konsumrausch sich herausbewegen, so müssen abgefangen werden. Ich möchte mich dafür stark machen, dass man sich viel mehr an Kunst, an Literatur und Meditation und Gartenarbeit orientiert. Wenn wir nicht wollen, dass die Gesellschaft in Glaubenschaos zerfällt, die Extreme sich radikalisieren, müssen die Künstler den menschen zeigen, wie man ohne Zugehörigkeit, ohne Aufgabe sich ein schönes Leben machen kann. Es müsste dafür mindestens so viele verschiedene Ansätze geben wie es verschiedene Bücher gibt.

Mittels der Wissenschaft hat die Menschheit die Religionen besiegt. Der Zusammenbruch des Kapitalismus wird die Religionen wieder hervorholen. Floh man anfangs aus Mangel an Wissen in die Religionen, wird man nun in wirtschaftlichen Krisen in sie fliehen aus Angst vor Arbeitslosigkeit, also: aus Mangel an Kultur, aus Unfähigkeit, allein zu sein. Schade, dass die heute einflussreichen Philosophen lieber über Vernunft und Ökologie und Wirtschaft reden und kaum oder gar nicht über Existentialismus, Ästhetik und Selbstmord. Allein die Unfähigkeit der Menschen, sich für experimentelle Musik zu begeistern, demonstriert ihre Verfahrenheit, Sterilität, Abgestumpftheit. Die wirklich alternativen Strukturen müssen sich vernetzen und ihren bunten, maßlosen Nihilismus in den Straßen verbreiten, damit sich alle darin verfangen, die noch irgendwie sensibel und skeptisch geblieben sind oder zumindest so zerrüttet, dass sie es auch mit unserer Religion der Leere, der Aussetzer, der Zerrissenheit, des Herbstes, der Verlassenheit, Gottlosigkeit, Faulheit, Liebessüchtigkeit, Rauschsüchtigkeit. Ich ziehe vorerst meinen Hut vor Euch, die Ihr irgendwo steckt. Ich entlasse Euch mit einer Idee: eine gut organisierte, heitere Bewegung einen radikalen Skeptizismus, militanter Müßiggang, die ewigen Gärtner und Flötenspieler und Panzerknacker und Waldelfen, mit einem lockeren Draht zu jedem Gott, jeder Einsicht, jeder Vorstellung von einem schönen Leben. Vielleicht wäre es auch einfach an der Zeit, der Erde weiter Folgen des Versuchs Mensch zu ersparen. Die dummen, ekelhaften Menschen müssen sich immerzu fortpflanzen. Das ist das große Elend. Man muss ihnen ihre Sexualität nehmen, und sie werden ruhiger. Die ewige Flucht nach vorn, in einen Begriff, einen Beruf, einen Flüchtling oder einfach nur in eine Frau wird aufhören. Er wird sich endlich wieder seinem Schrebergarten zuwenden, und wenn jemand anders in der Gartenanlage zu laute Musik hört, wird er sich in aller Ruhe mit ihm betrinken und sich von früher erzählen, während sie sich die Sterne anschauen. Und vielleicht schauen sie sich sogar in die Augen und stellen fest, dass da eine homosexuelle Seite in ihnen ist, die aufblühen will. Wohlan! Macht alles was Euch Spaß macht. Aber besucht auch weiterhin meinen Blog. :-)

(Null Null Null)

Ein junger Mann, der sich gut mit dem Kapitalismus auskennt, betritt die Arztpraxis und ruft wie ein edler Ritter empört aus, während er in Zeitlupe zu Boden stolpert: "Flausch! Flausch und Pflausch! Wer hat denn diesen Flaupapautsch hier überall aufgehangen?" und er kommt nochmal zur Tür rein und sagt selbstbewusst offen lächelnd, oh: "Ja, wer hat denn hier den Flaumenpflausch aufgehangen?" und hält verständnisvoll grinsend seinen Daumen in die Kamera. Wie konnte das nur passieren? Ist das hier der Rand des Tages, Mami?

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